Davids letzter Film
Lagerhaus befand, hatte er sein Handy am Ohr und war mit
der Auskunft verbunden. Die Telefonistin gab ihm die Adresse von Tegtmeyers Galerie durch. Ein bisschen hatte sie suchen müssen,
aber dann gab es doch nur eine Möglichkeit. Die Galerie befand sich in der Linienstraße, in Berlin-Mitte.
Bis zur nächsten S-Bahn -Station ging er zu Fuß. Er wusste, dass es von dort die schnellste Verbindung in den Ostteil der Stadt gab. Die Fahrt auf
der erhöhten Schnellzugtrasse, die in weitem Bogen am neuen Machtzentrum der Hauptstadt vorbeifuhr, war für Flo eine angenehme
Überraschung. Die Gegend zwischen Tiergarten und Brandenburger Tor hatte in den letzten Jahren ein ganz neues Gesicht bekommen.
Hauptbahnhof, Kanzleramt, Reichstag – die Weitläufigkeit der Anlage gefiel ihm gut.
Am Hackeschen Markt stieg er aus und ließ sich von den Menschen treiben, die dicht gedrängt durch die Gassen und Sträßchen
dieses alten Teils von Berlin wuselten. Gut zwei Stunden waren seit seinem Essen mit Thea vergangen, als er in die Linienstraße
einbog. Nach ein paar Querstraßen gelangte er an ein aufwendig restauriertes Mietshaus, in dessen Erdgeschoss sich die Galerie
Tegtmeyerbefand, wie eine dezente vertikale Schrift neben der Tür anzeigte. Die beiden Schaufenster des ehemaligen Obst-und-Gemüse-Ladens
waren mit Rauchglas ausgestattet, nur zwei schmale Streifen in Augenhöhe, die quer über die ganze Fensterfront verliefen,
erlaubten einen Blick ins Innere. Flo trat an die Sichtschlitze heran und lugte hinein. Nichts als kahle, weiß gekalkte Räume.
Niemand zu sehen. Er wandte sich um. Schräg gegenüber der Galerie mündete die Linienstraße in einen schönen und ruhigen Platz,
auf dem sich eine Grünanlage befand.
Auf einer Parkbank am Rand der Anlage nahm er Platz. Sollte er einfach so in die Galerie hineinplatzen? Was er bisher über
Tegtmeyer gehört hatte, hatte ihm nicht gefallen. Sein Instinkt sagte ihm, dass er sich lieber vorsehen sollte. Wieso hatte
ihm Thea den Namen des Galeristen verschwiegen? War es klug, nach Tegtmeyers Verbindung zu David zu fragen? Auch Davids Andeutungen
über den Galeristen in seinem Brief waren Flo nicht ganz geheuer.
Während er darüber nachdachte, wie er weiter vorgehen sollte, fiel ihm ein älterer Herr auf, der quer über den Platz auf die
Galerie zusteuerte. Es war der Mantel des Mannes, der Flos Aufmerksamkeit erregte. Denn als der Wind die Mantelschöße aufwehte,
war zu erkennen, dass er innen komplett mit dem gleichen seidig glänzenden Fell gefüttert war, das auch den Pelzkragen zierte.
Florian blickte dem Mann ins Gesicht. Er hatte eine spitze, blutleere Miene, die abweisend und zugleich verletzlich wirkte.
Irgendetwas an dem Alten machte einen puppenhaften und artifiziellen Eindruck. Aber erst als er unmittelbar an Florians Bank
vorüberlief, erkannte er,woran das lag. Der Alte trug eine Perücke – das war es! Die künstlichen, tiefschwarz gefärbten Haare hingen dem Greis bis
vor die kleinen, stechenden Augen, mit denen er Flo für einen Augenblick musterte – dann war er an ihm vorbei.
Florian sah ihm nach. Der Alte lief geradewegs auf den Eingang der Galerie zu, deren Tür sich jetzt öffnete. Ein jüngerer
Mann trat auf die Straße heraus und ging dem Alten entgegen. Flo zuckte zusammen. Den Jüngeren kannte er – es war Walter!
Unwillkürlich duckte er sich auf seiner Bank, um nicht gesehen zu werden, und beobachtete, wie Walter und der Alte ein paar
Worte wechselten. Dann verschwand der Pelzkragen-Mann hinter der Rauchglastür im Inneren der Galerie, und Walter lief die
Linienstraße in die Richtung hinunter, aus der Flo gekommen war.
Florian stand auf und setzte sich in Trab. »Walter!«
Walter schien ihn nicht gehört zu haben, denn er zog nur unmerklich die Schultern hoch und eilte weiter.
»Hey, Walter!« Flo holte ihn ein. »Bleib doch mal stehen.«
Als Walter ihn sah, verhärtete sich sein Gesicht. »Flo! Was machst du denn hier?«
Flo schlug ihm freundschaftlich auf den Rücken. »Ich war gerade auf dem Weg zu Tegtmeyer.«
Walter verzog den Mund. »Ach.« Einen Augenblick schien er nachzudenken, dann richtete er seine weißlichen Augen direkt auf
Florians Gesicht. »Du, ich bin ein wenig in Eile.« Er spitzte die Lippen.
»Wirklich?« Florian lächelte. »Merkwürdig. Wen ich auch treffe, alle haben es eilig. Am schlimmsten Hannes.«Walter nahm seinen Weg wieder auf. »Du hast Hannes
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