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Davids letzter Film

Davids letzter Film

Titel: Davids letzter Film Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Winner
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gleich dransetzen und das erst einmal hinter sich bringen? Ihm fiel ein, dass er noch ein paar Briefe haben musste, die David
     ihm vor Jahren geschrieben hatte. Die waren doch genau das, was er für seinen Artikel jetzt brauchte!
    Kurz bevor er endgültig nach Spanien gezogen war, hatte er zwei Kisten mit seinen persönlichen Habseligkeiten in ein Berliner
     Lager gegeben, für das er seither monatlich eine kleine Miete bezahlte. In den Kisten mussten sich doch auch diese Briefe
     befinden. Zusammen mitseinen Eindrücken vom »Corps«, vom »Auge« und den Gerüchten um »Audience« hatte er doch allemal genug beisammen, um einen
     schönen Artikel über David zu schreiben, mit dem er sich erst mal das Honorar würde verdienen können!
     
    Das Lager war im ersten Stock eines alten Moabiter Fabrikgebäudes untergebracht. Als Florian aus dem Lastenaufzug heraustrat,
     wurde er von einem hageren Mann im grauen Kittel begrüßt, an den er sich dunkel zu erinnern glaubte. Gemeinsam schritten sie
     durch ein weit verzweigtes Labyrinth schäbiger Metallregale, deren graugrüne Farbe weitgehend abgeplatzt war. Es roch modrig,
     und die Luft war viel zu feucht für ein Lagerhaus. Hunderte vergilbter und verstaubter Kartons schimmelten in den Regalen
     vor sich hin. In einer schlecht beleuchteten Ecke blieb der Angestellte stehen und deutete auf zwei Umzugskartons im untersten
     Fach. Florian erkannte sie sofort wieder. Das waren seine Kisten.
    Nachdem er mit dem Mann vereinbart hatte, dass er die Kisten nur kurz durchsehen, aber im Lager stehen lassen würde und der
     andere wieder im Halbdunkel der Lagerhalle verschwunden war, zog Florian den ersten Karton hervor. Er kam ihm seltsam leicht
     vor. Hatte er ihn nicht randvoll mit Papieren und Kleinkram gestopft? Er holte einen Kugelschreiber aus der Innentasche seines
     Jacketts und trennte den Klebestreifen durch, mit dem der Karton verschlossen war. Wie würde er ihn danach wieder zukleben?
     Er würde ihn offen stehen lassen müssen. Egal.
    Flo klappte den Deckel auf und starrte hinein. Papiere,Notizhefte, alte Kalender, kleine Schachteln. Sogar ein Stofftier war in der Kiste, ein Hund. »Tilmann« hatte er den als Kind
     getauft und über alles geliebt. Dass er ihn mit nach Berlin genommen hatte, hatte Flo inzwischen völlig vergessen. Keine zwanzig
     Jahre war er alt gewesen, als er mit David hierhergezogen war, die Welt hatte ihm offen gestanden. Und heute? Nachdem er beinahe
     doppelt so alt geworden war?
    In Gedanken versunken kramte er weiter, fummelte eine kleine Pappschachtel hervor, hob ihren Deckel ab. Alte Eintrittskarten,
     Feuerzeuge, ein Zahn, Münzen, Schlüssel, von denen er beim besten Willen nicht mehr wusste, wozu sie gehörten, ein Lippenstift.
     Der musste einem Mädchen gehört haben, in das er verliebt gewesen war. Er hatte nicht damit gerechnet, dass diese Dinge, die
     ihm einst teuer gewesen waren, plötzlich keinen Wert mehr für ihn besaßen. Was sollte er eigentlich mit dem ganzen Zeug? Waren
     nicht auf dem Dachboden seiner Eltern kistenweise solche Erinnerungsstücke? Die interessierten doch auch niemanden. Nicht
     einmal mehr ihn! Reliquien von sich selbst, zu Lebzeiten angehäuft.
    Flo verschloss die kleine Pappschachtel wieder. Er verzettelte sich. Wo waren die Briefe von David? Darauf kam es jetzt an.
    Er ging die Kiste weiter durch, hob die Papiere hoch, die unter der Pappschachtel lagen. Seiten und Seiten und Seiten. Tagebucheintragungen,
     kopierte Briefe, die er geschrieben hatte, kleine Texte, die er als Zwanzig-, Fünfundzwanzigjähriger auf karierte Heftseiten
     gekritzelt hatte. Nacht für Nacht hatte er sich dafür um die Ohren geschlagen.
    Er wühlte weiter. Die Papiere tiefer unten waren braunfleckig, die Tinte war teilweise verwischt. Erst sah es so aus, als
     sei nur auf einige Seiten Wasser gespritzt. Aber die Flecken wurden dunkler und größer. Hastig zog Florian die Seiten stapelweise
     heraus. Irgendein Vollidiot musste die Kiste in eine Pfütze gestellt haben! Ganz unten waren die Papiere zu einem matschigen
     Brei verklumpt. Die Tinte war komplett zerlaufen und unleserlich!
    Es gab ihm einen Stich. Dass er die Schriftstücke wirklich noch einmal gebraucht hätte, hatte er nicht ernsthaft geglaubt.
     Jahrelang hatte er die Sachen nicht angesehen. Dennoch hatte er sich die Hoffnung, die alten Texte könnten besser sein, als
     er befürchtete, nicht nehmen wollen. Aber jetzt waren sie schlichtweg zerlaufen! Da war gar

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