Davids letzter Film
die anderen Besucher. Das übliche Berliner Szene-Publikum. Ein paar von ihnen schienen
Drogen geschlucktzu haben, andere hielten sich einfach nur an ihrem Bier fest, einer wollte seiner Freundin offenbar zeigen, was für abgefahrene
Sachen er draufhatte. Die meisten waren keine dreißig und sahen eher harmlos aus.
Endlich lief der Film an.
Schon nach wenigen Minuten hatte Florian genug gesehen. Es war eine geist- und herzlose Kette von Schlachtfesten, Blutorgien
und Verstümmelungen. Ohne Zusammenhang, ohne Gefühl, beseelt einzig von dem Wunsch, den Sadismus der Zuschauer zu befriedigen.
Er schloss die Augen. Den Dreck brauchte er sich nicht anzusehen. Stoisch ließ er das dumpfe Geheul und die Schreie, das Geräusch
von knackenden Knochen und platzenden Gedärmen, den Sound des Hackens, Schlitzens, Brechens und Berstens über sich ergehen.
Es bestand kein Zweifel, mit so etwas würde David nichts zu tun haben. Er mochte sich über Tabus und Verbote hinwegsetzen,
möglicherweise sogar, um ein besonderes Vergnügen dabei zu empfinden. Einen so verrohten, abgestumpften, ja unendlich langweiligen
Film würde es von ihm aber nicht geben.
Genervt ließ Florian die endlosen hundert Minuten des Machwerks über sich hinwegbrausen.
Als die Lichter in dem Saal endlich wieder angingen, schien die gute Laune, die zu Beginn noch unter den Zuschauern geherrscht
hatte, verflogen zu sein. Der Gewaltexzess war auch an diesen Hardcore-Fans nicht spurlos vorübergegangen.
Beim Hinausgehen fiel Flo ein Mann auf, der allein gekommen war. Er wirkte etwas älter als die anderen,vielleicht sogar älter als Flo. Wenn der sich nicht auskannte, wer dann?
Florian richtete es so ein, dass sie nebeneinander das Kino verließen. Vor der Tür haute er ihn an. »War ja nicht so doll
heute, wa?«
Der Mann zündete sich gerade eine Zigarette an. Er warf Florian einen kurzen Blick zu, grunzte und wollte weitergehen.
Flo lächelte. »Hast du eine über? Meine sind alle.« Er nickte zu dem Zigarettenpäckchen.
Der Kerl trug einen Trainingsanzug, hatte schlechte Haut und war übergewichtig. Was musste er für ein Leben führen, dass er
sich die Nächte mit so einem Müll um die Ohren schlug?
Er nestelte an seiner Jacke, um das Zigarettenpäckchen aus der Tasche zu ziehen.
Flo ergriff die Gelegenheit beim Schopf. »Haste mal ’nen Film vom Mosbach gesehen? Außer dem ›Corps‹ mein ich.«
Der Typ zog eine Zigarette halb aus dem Päckchen und hielt es Flo unter die Nase. »›Das Auge‹, hm? Nicht schlecht.«
»Ja, das sowieso, aber ich mein die andern.« Flo griff nach der Zigarette.
Der Typ sah ihn an. »Welche andern?« Das schien ihn zu interessieren.
»Keine Ahnung von den Titeln, aber ich hab gehört, die sollen verschärft sein.«
Der Dicke schien ihm kein Feuer geben zu wollen. Flo nahm die unangezündete Zigarette aus dem Mund. »Feuer?«
Der andere grunzte wieder und begann, zerstreut nach seinem Feuerzeug zu suchen. »Mosbach hat noch andere Sachen gemacht?
Ich dachte, nach dem Tokio-Ding hätte er sich nicht mehr getraut, illegal zu arbeiten.«
Jetzt war Florian der Interessierte. »Tokio-Ding?«
Der Typ hielt ihm das Feuerzeug hin. »Ja, diese Fernsehsache, haste davon nie was gehört?«
Florian sog an der Zigarette und schüttelte den Kopf.
Der Typ ließ das Feuerzeug zuschnappen. »Nee, ich weiß auch nicht. Es ging wohl um irgendwelche Muster, die bei bestimmten
Leuten krasse Symptome hervorrufen. Also wenn man sich die Muster ansieht.«
»Muster?«
»Bilder halt, abstrakt, weißte? Mosbach hatte die Bilder aufgetrieben und es irgendwie hinbekommen, dass das Zeug über einen
Sender gejagt wurde. Geil!«
Er strahlte Flo an, fast so stolz, als wäre ihm dieser Coup selbst gelungen.
22
Hölzemann war einverstanden, er wollte sehen, was sich machen ließe. Von Riemschneider und seinem Ausflug in die Schattenseiten
der Kinokultur hatte Florian seinem Redakteur erst gar nichts erzählt. Aber er hatte ihn wegen dieser Tokio-Sache angerufen.
An die Archive der Sender kam er ohne Hölzemann nicht heran.
Am späten Vormittag klingelte Flos Handy.
»Die würden am liebsten so tun, als wüssten sie nichts davon.« Hölzemann klang richtig aufgeregt.
»Was haben Sie rausbekommen, Richard?« Wenn die Arbeit investigativ wurde, zeigten sich Hölzemanns Qualitäten.
»Gehen Sie zum Hauptstadtstudio, ein Redakteur aus der Hauptabteilung Unterhaltung, ein gewisser Melzer, erwartet Sie dort.
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