Davids letzter Film
stärker
wirken als jede Droge, so die Doku. Mosbach ließ vermeintliche Wissenschaftler auftreten, die mit allerlei Fachtermini dieses
Phänomen zu erklären schienen. Fans, die von der sagenhaften Wirkung der Videos sprachen, kamen zu Wort. Sogar Fahnder, die
berichteten, dass die Videos zum Teil ihren Weg schon bis nach Deutschland gefunden hätten, jedoch strengstens verboten und
hochgefährlich seien. Hanebüchener Unsinn. Wir hätten das natürlich niemals über den Sender gelassen.«
»Es ging ihm gar nicht um den Krimi, sondern um die Doku.«
»Das sagte er später auch. Er habe den Krimi nur als Tarnung gedreht, um auf dem Sendeplatz die Tokio-Doku platzieren zu können.«
Flo musste grinsen.
Melzer blieb ernst. »Wenn man sich die Doku ansieht, ist sofort klar, dass es sich nur um einen Scherz handeln kann. Aber
bei uns wurde die Sendung ja ohne jeden Hinweis auf Satire, ohne jede Warnung ausgestrahlt. Und dann wurde die Ausstrahlung
auch noch ganz plötzlich abgebrochen, als die Sendeleitung merkte, dass irgendetwas schieflief. Damit wirkte alles nur umso
authentischer.«
Flo war jetzt wieder hellwach. War es das, was David in seinem Brief angedeutet hatte?
»Können wir uns das Material mal ansehen?«
Melzer seufzte. »Ich hatte ja Ihrem Redakteur schon mitgeteilt –«
»Richtig«, unterbrach Flo ihn. »Und Hölzemann hat mir gesagt, dass Sie kooperieren würden.« Er lächelte Melzer an.
Der wand sich.
»Kommen Sie, Melzer. Wenn Sie meinem Redakteur nicht schon zugesagt hätten, dass Sie sich in die Karten sehen lassen, hätten
wir uns doch gar nicht erst getroffen.« Er stand auf.
Widerwillig erhob sich auch Melzer. »Da entlang.«
Durch endlose grauweiße Flure gelangten sie in einen kleinen Sichtungsraum, in dem sich ein Beta-Player und ein Monitor befanden.
Melzer hatte das Tape mit der Tokio-Doku bereits eingelegt.
Florian setzte sich an den Apparat und bediente die Knöpfe.
Bilder von Tokio flimmerten über den Bildschirm. Eine High-Tech-Stadt wie aus einem Science-Fiction-Film.
Melzer stöhnte. »Den Kollegen in der Sendeleitung fiel natürlich gleich auf, dass etwas nicht stimmte. Aber die Beschriftung
war korrekt. Und bis sie um diese Uhrzeit einen Verantwortlichen erreicht hatten, waren bereits weit mehr als fünf Minuten
über den Sender gegangen.«
Auf dem Monitor war eine junge Japanerin zu sehen, die mit der U-Bahn durch die Stadt fuhr. Dazu war die Stimme eines Kommentarsprechers zu hören, der erzählte, dass das Mädchen einer Gruppe
von Teenagern angehörte, die rätselhafte Videos konsumierten. Dann begann die Japanerin, sich mit dem Reporter zu unterhalten,
der sie begleitete, der aber nicht selbst im Bild zu sehen war. Sie berichtete von der sagenhaften Wirkung der Videos, giggelte
und schlug die Augen nieder.
»Das ist alles vollkommen frei erfunden«, meldete sich Melzer wieder zu Wort.
Florian hob die Hand. Er wollte lieber dem Band zuhören, Melzer hatte seinen Standpunkt ja bereits deutlich gemacht.
In der Doku erreichte die Japanerin unterdessen eine Wohnung, in der sich ein paar ihrer Freunde bereits versammelt hatten.
Die Teenager begrüßten sich und bereiteten sich darauf vor, die Bänder, die einer von ihnen mitgebrachthatte, in einem großen Fernseher anzusehen. Ein junger Mann ließ sich von den anderen fesseln, während er dem Reporter erläuterte,
dass er Angst habe, er würde unter der Wirkung der Bilder sich selbst oder den anderen etwas antun. Die Japanerin vom Anfang
hielt verschiedene Sonnenbrillen und Sehschlitze in die Kamera und erklärte, dass sie damit die Wirkung der Bilder auf eine
harmlose Dosis abschwächen könne. Ungeschützt seien die Videos für sie zum Teil zu heftig, ganz darauf verzichten wolle sie
jedoch auch nicht. Schließlich wurden dem Reporter zwei kräftige Tokioter Typen mit raspelkurzem Haar vorgestellt, die
hinter
dem Fernseher Stellung bezogen. Die beiden würden die Bilder selbst nicht sehen, aber eingreifen können, wenn etwas bei denen,
die sich den Strahlen aussetzten, außer Kontrolle geriet.
Dann ging es los. Die Bilder, die auf dem Fernseher in der Tokioter Wohnung liefen, waren in der Doku nicht zu sehen. Stattdessen
hatte sich der Kameramann mit den beiden Aufpassern hinter dem Fernseher postiert, um von dort aus die Zuschauer zu drehen,
die sich die Videos ansahen. Erst starrten die Teenager mit zunehmend glasigen Augen in den blauen Widerschein, dann fing
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