Davids letzter Film
Mir wollte er die Einzelheiten am Telefon nicht sagen. Die Fernsehnasen haben immer noch eine Mordswut auf Mosbach. Wenn ich
nicht damit gedroht hätte, dass wir die Sache mit oder ohne sie herausbekommen, hätten sie sich nie bereit erklärt, mit uns
zu kooperieren.«
Eine knappe Stunde später nahm Florian im Foyer des Senders Platz. Bald darauf eilte ein hochgewachsener Mann um die fünfzig
durch die sterile Halle auf ihn zu. Das konnte nur Melzer sein.
Sie begrüßten sich kollegial. Melzer hatte Geheimratsecken, einen leicht mutlosen Gesichtsausdruck und eine vorsichtige Stimme.
Ein Beamtentyp, dem es wichtiger zu sein schien, nur ja keinen Fehler zu machen statt endlich einmal das Richtige, dachte
Flo, als er ihm die Hand schüttelte.
Melzer bat Florian, wieder in der zugigen Sitzecke des Foyers Platz zu nehmen. Offenbar hoffte er, ihn zwischen Tür und Angel
abfertigen zu können. Nach den üblichen Höflichkeitsformeln kam Flo auf Davids vorübergehendes Engagement für den Sender zu
sprechen.
Melzer nickte. »Herr Mosbach bekam damals, Anfang ’98, von uns den Auftrag, einen Kriminalfilm für den Freitagabendplatz zu
inszenieren. Er hatte einige Jahre zuvor die Filmschule absolviert, sein Abschlussfilm hatte großes Aufsehen erregt. Kein
Wunder, dass wir uns für ihn interessierten. Wir hatten ein Gespräch mit ihm geführt und waren zu der Überzeugung gekommen,
mit Herrn Mosbach einen qualifizierten Regisseur zu engagieren.«
»Um was für einen Stoff ging es denn?«
»Eine ganz normale Polizeigeschichte, ich erinnere mich jetzt nicht mehr an alle Details. Das aber weiß ich noch: Wir waren
übereingekommen, dass er die Geschichte relativ glatt inszenieren würde, also nicht oberflächlich, aber doch ohne allzu sehr
aus den Konventionen des Senders auszuscheren. Und Herr Mosbach hattemehrfach versichert, dass er sich freuen würde, den Film für uns zu machen.«
Melzer machte eine Pause.
»Aber?«
»Aber dann kam alles ganz anders. Denn er drehte
zwei
Filme.«
»Tatsächlich!« So was Ähnliches hatte er ja auch gemacht, um Tegtmeyer hinters Licht zu führen, schoss es Flo durch den Kopf.
»Einmal unseren Krimi«, fuhr Melzer fort. »Und außerdem eine Doku über die angebliche Wirkung bestimmter Bildmuster.«
»Hm.«
»Nur – von der Doku wussten wir nichts! Stattdessen fand ganz normal die Abnahme des Krimis statt. Der Film war nicht schlecht,
aber ein wenig gewalttätiger, als wir uns das gewünscht hatten. Der Abteilungsleiter entschied deshalb, dass wir ihn nicht
– wie geplant – um 20 Uhr 15 senden würden, sondern auf einem weniger beachteten Platz um 22 Uhr 45.«
»Das wird David nicht gefallen haben.«
»Das weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass am Sendetag das Band aus dem Archiv geholt wurde. Es war korrekt beschriftet, es
fand die technische Abnahme statt, alles bestens. Doch dann, um 22 Uhr 45, als die Sendung begann, lief nicht der Krimi …«
»… sondern die Doku.«
»Genau. Es hat uns kalt erwischt, keiner war darauf vorbereitet. Mosbach muss sich in die Sendeleitung geschlichen haben,
wo die Bänder, die ausgestrahlt werden, von einer Maschine abgespielt werden. Später erzähltenuns die Mitarbeiter, dass er sich in den Tagen zuvor öfter dort herumgetrieben hatte, angeblich, weil er sich für die Technik
interessierte. Dabei wird er gecheckt haben, wann es möglich ist, unbemerkt das Sendeband auszutauschen.«
»Ein Anschlag auf Ihr Haus!«
»Das kann man wohl sagen. Wir stellten auch fest, dass das Band mit der Tokio-Doku dieselbe Archivnummer hatte wie der Krimi.
Er muss alles mit erheblichem Aufwand vorbereitet haben.«
»Alle Achtung.« Florian setzte sich zurecht. Die gestrige Nacht steckte ihm noch in den Knochen. »Das ist damals gar nicht
richtig durch die Presse gegangen, oder?«
»Nur am Rand. Die Intendanz hatte mit den Behörden vereinbart, dass die Sache kleingehalten würde. Man wollte nicht, dass
publik würde, wie einfach es ist, in den Betrieb unseres Hauses einzugreifen.«
»Worum ging’s denn in der Doku?«
»Es war reiner Unsinn. Mosbach hatte in Tokio gedreht. Angeblich schauen sich dort bestimmte Freaks speziell präparierte Videos
an, auf denen abstrakte Bildmuster zu sehen sind. Spiralen, Blitze, Farbmuster, so was. Je länger man sich diesen Mustern,
die vom Bildschirm ja abgestrahlt werden, aussetze, desto stärker sei die Wirkung. Teilweise würden die Videos sogar
Weitere Kostenlose Bücher