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Davids letzter Film

Davids letzter Film

Titel: Davids letzter Film Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Winner
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Einer
     der Gäste hatte eine alte VH S-Kamera mitgebracht, das wusste er noch genau. Damals hatte noch nicht jeder eine Kamera im Schrank, geschweige denn im Handy gehabt,
     und dementsprechend begeistert waren sie gewesen, als der Gast damit ankam. Man musste VH S-Kassetten einlegen und nahm dann direkt darauf auf. Immer wieder hatten sie gierig in den winzigen Sucher der Kamera gestarrt, um zu
     sehen, was der Gast gefilmt hatte. In dem Sucher konnte man die Bilder noch einmal abspielen, und alle wollten wissen, wie
     sie darauf wirkten. Jahrelang hatte Flo nicht mehr daran gedacht. David musste das Material irgendwo ausgegraben haben.
    Da begann sich langsam das Bild vor seinen Augen zu ändern. An den äußeren Rändern der grau-breiigen Videobilder,die sie damals gedreht hatten, begann plötzlich Farbe aufzutauchen.
    Flo richtete sich in seinem Sessel auf und starrte auf den Flachbildschirm vor ihm. Jetzt war es deutlich zu erkennen: Die
     Bilder, die sie gedreht hatten, waren im Sucher einer Videokamera zu sehen! Und die Kamera selbst begann ins Bild zu rücken!
    In seinem Kopf arbeitete es. Wenn die Kamera selbst zu sehen war, konnten die Bilder dort vorn auf dem Monitor nicht mehr
     die Bilder sein, die sie damals gedreht hatten!
    Jetzt war zu erkennen, dass die Kamera auf einem Küchentisch stand. Es war genau so ein Küchentisch, wie er damals in ihrer
     Küche gestanden hatte! Und um den Tisch herum saßen Leute!
    Flos Handflächen wurden feucht. Was war hier los? Hatte David den ganzen verdammten Abend
nachgestellt
?
    Nach und nach konnte man den Leuten, die an dem Tisch saßen, ins Gesicht blicken. Als Ersten erkannte Flo David. Beziehungsweise
     einen, der aussah wie David.
    Er musste schlucken. Es war also wirklich so! David hatte Schauspieler engagiert, die diesen Abend bei ihnen zu Hause nachspielten!
     Die nachspielten, wie sie sich gegenseitig mit der alten VH S-Kamera gefilmt und die Aufnahmen im Sucher angesehen hatten!
    Da! Flo zuckte zusammen. Das sollte er sein! Vorhin, im Schwarzweißbild, das war wirklich er gewesen, sozusagen das Original.
     Aber der Typ da, der jetzt im Farbbild zu sehen war? Das war nicht er! Natürlich nicht! Der Kerl sah ihm nur verdammt
ähnlich
! Der Typ trug zwar genau so ein schwarzes Jackett, wie er es damals immergetragen hatte. Er hatte auch die gleichen verwuschelten Haare, die Florian damals immer gehabt hatte, als er das Geld für
     den Friseur hatte sparen wollen. Und ebenso wie Flo hatte der Kerl auf dem Bildschirm auch tiefe Ringe unter den Augen, die
     zu verraten schienen, dass er sich lieber die Nächte um die Ohren schlug, als zu schlafen. Aber die Ringe waren geschminkt,
     die Haare künstlich frisiert, und das Jackett ein Kostüm. Es war ein verdammter
Schauspieler
!
    Florian holte Luft. David hatte einem Schauspieler beigebracht, sich so zu benehmen, wie er es tat? Es nahm ihm fast den Atem.
     Für einen Augenblick kam es ihm so vor, als würde ihm ein Teil seines Lebens schlichtweg geraubt, indem es dort auf dem Bildschirm
     nachgespielt wurde. Als würde ihm seine Eigenständigkeit gewaltsam aus den Händen gedreht, als würde sich jemand rücksichtslos
     in sein Leben drängen! Was hatte David verdammt noch mal für ein Recht, ihn
nachzuinszenieren
?
    Schon wollte er David, der reglos vor ihm saß, etwas zurufen – da drehte sich der plötzlich um und starrte ihn an. »Nicht
     schlecht, oder? Was denkst du?«
    Schemenhaft konnte Florian erkennen, wie David ihn anlächelte. Die Überraschung war wirklich gelungen!
    »Du hast den Abend für den Film noch mal nachgespielt?« Flo konnte es kaum fassen.
    David nickte. »Verstehst du jetzt, warum ich wollte, dass du es dir ansiehst?« Doch dann schien er zu bemerken, wie aufgewühlt
     Florian war, und stand auf. Offenbar wollte er einer drohenden Auseinandersetzung erst mal aus dem Weg gehen.
    »Am besten, wir reden nachher drüber«, murmelte er,bevor Florian etwas erwidern konnte. »Ich lass den Film jetzt einfach weiterlaufen. Wenn du fertig bist, findest du mich in
     der kleinen Teeküche gleich hier draußen am Ende des Gangs. Okay?« Und damit verließ er den Raum.
    Florian aber sank in seinen Sessel zurück. Auf dem Flachbildschirm vor ihm flimmerte der Film weiter – und erzählte eine Geschichte,
     an die er sich nur zu gut erinnern konnte. Denn der Film erzählte nichts anderes als die Ereignisse, die ihn schließlich dazu
     bewogen hatten, Berlin zu verlassen und nach Madrid zu

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