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Davids letzter Film

Davids letzter Film

Titel: Davids letzter Film Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Winner
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Wirkung des Films.«
    »Findest du.«
    »Ja.« David zögerte kurz. »Aber du wirst sehen, es wird dir gar nicht auffallen. Ich sag das auch nur, weil ich vermeiden
     will, dass du sozusagen einen typischen Mosbach erwartest und dann enttäuscht bist, weil es nicht wieder so ein Bilderstrudel
     ist wie beim ›Auge‹. Das war nicht, was ich erreichen wollte.«
    »Sondern? Was wolltest du denn erreichen?«
    »Das wirst du ja gleich sehen.«
    Flo dachte, dass er David ja auch bitten könnte, ihm die Geschichte einfach nur zu erzählen, wenn es nicht um die Bilder ging.
     Aber dann ließ er es doch bleiben.
    »Das ist auch billiger, was?«, sagte er stattdessen. »Wenn es auf die Bilder nicht so sehr ankommt.«
    David lehnte sich in seinem Drehstuhl zurück. »Kann man wohl sagen. Anders hätte ich den Film gar nicht machen können. Nachdem
     das Projekt ›Metafilm‹ gescheitert war, wollte ja keiner mehr richtig Geld rausrücken. Ich bin froh, dass ich überhaupt drehen
     konnte.«
    »Na dann, lass mal sehen«, versetzte Flo.
    David nickte. »Aber nachher nicht sauer sein, okay?«
    »Wieso sauer?«
    »Ich mein ja nur.«
    »Na, mach schon, Mann. Zeig, was du hast!«
    »Also gut.«
    David wandte sich lachend zum Keyboard und drückte eine Taste. Auf dem Bildschirm verschwanden die Farbbalken, die darauf
     zu sehen gewesen waren, und einCountdown begann. 9   … 8   … 7   … David beugte sich vor und löschte das Deckenlicht. 6   … 5   … 4   …
    Flos Blick wanderte noch einmal zum anderen, der schräg vor ihm saß und dessen Profil jetzt nur noch vom blauen Widerschein
     des Bildschirms erhellt wurde. Erst wusste er nicht, was ihn an Davids Gesicht plötzlich irritierte, doch dann wurde ihm schlagartig
     klar, dass die Ironie, die Davids Miene eben noch umspielt hatte, jetzt restlos daraus verschwunden war. Stattdessen hatten
     sich die harten Züge darin überraschend verschärft, und die tiefen Falten an seinen Mundwinkeln schienen sich noch weiter
     ins Fleisch gegraben zu haben.
    Verunsichert wollte er David schon bitten, den Countdown noch einmal zu stoppen, wollte ihn fragen, was er denn gemeint habe,
     warum er nicht sauer sein solle. 3   … 2   … 1   …
    Aber da blitzte der Bildschirm schon abrupt auf, ein weißes, grelles Licht schien förmlich aus ihm herauszuschlagen, zwang
     Florian, die Augen zu Schlitzen zu verengen, und tauchte den Schneideraum in ein heißes Bad aus Licht und gleißendem Schein.
    Es war zu spät.
    »Tabu« hatte begonnen.

34
    Das Erste, was Florian nach dem Weißblitz aus dem überstrahlten Bild auftauchen sah, waren graue, unförmige Schlieren. Die
     Bilder erinnerten an Unterwasseraufnahmen in einem völlig verschmutzten Hafenbecken. Gleichzeitig flimmerte das Bild, und
     er meinte, jedes Körnchen einzeln darauf zu erkennen. Offensichtlich waren es Aufnahmen, die mit einer alten Videokamera bei
     miserablen Lichtverhältnissen gedreht worden waren.
    Schemenhaft tauchte ein erster Umriss in dem schwarzweißen Bilderbrei auf. Es sah aus wie ein dunkler Flur, an dessen Ende
     ein überstrahltes Licht schlierte. Die Kamera bewegte sich den Flur entlang auf das Licht zu, dumpf waren Gemurmel und verzerrte
     Musik zu hören. Das Licht kam aus einem Raum am Ende des Flurs. Und in dem Raum waren Leute.
    Florian stutzte. Den Flur kannte er doch. Die billige Kommode, deren Farbe abgeplatzt war? Die hatte er doch schon mal gesehen!
    Die Kamera erreichte das Ende des Flurs und schwenkte in eine Küche. Eine Handvoll junger Leute saß dort zusammen. Sie tranken,
     rauchten und redeten. Musik knatterte aus einem alten Ghettoblaster.
    Flo fuhr zusammen. Da stand er. Er selbst! Am Herd.Mit einem Glas in der Hand. Er hatte getrunken, redete ausgelassen mit einem Mädchen, das an seinen Lippen hing. Wegen der
     Musik konnte man jedoch nicht verstehen, was er sagte.
    Die Kamera schwenkte von ihm weg, näherte sich einem anderen jungen Mann, der an dem Küchentisch saß.
    Die Aufregung presste Flos Brustkorb zusammen. Es war David.
    Jetzt erinnerte er sich wieder, es musste ’90 oder ’91 gewesen sein. Zu der Zeit hatten sie noch zusammengewohnt, an dem Abend
     hatten sich ein paar Freunde bei ihnen getroffen. David war bereits Student an der Akademie gewesen, und er, Flo, hatte sich
     mehr schlecht als recht mit seinen ersten Zeitungsartikeln durchgeschlagen.
    Als er die Bilder nach all den Jahren jetzt plötzlich wiedersah, war es Flo, als wäre der Abend erst gestern gewesen.

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