Davids letzter Film
Streit?«
David grinste. Offenbar hatte er beschlossen, Flo Rede und Antwort zu stehen.
»Je länger ich am ›Metafilm‹ gebastelt habe, desto mehr wurde das ganze Projekt ein Haufen Müll. Es lief tatsächlich darauf
hinaus, dass die gute alte Wahrheit aufgelöst schien in eine unendliche Verweisung der Zeichen. Wir zitieren uns gegenseitig
zu Tode, sozusagen. Es war zum Kotzen.« Er stand vom Barhocker auf und begann unruhig im Raum auf und ab zu gehen. »Aber erst
als das Projekt ›Metafilm‹ endgültig den Bach runterging, sah ich plötzlich klar: Es gibt
doch
eine Wahrheit hinter dem Schein. Nur ist sie nicht theoretisch, sondern
praktisch
. Das war der Schlüssel.« Er blieb stehen und schaute zu Flo. »Verstehst du?«
Flo starrte ihn an. Er verstand gar nichts. »Nee.«
»Denk mal an diesen Wachowski-Film. ›Matrix‹. Der funktioniert wie das ›Corps‹. Was die Helden erkennen müssen, ist, dass
das, was sie
sehen
, Täuschungen sind. In ›Matrix‹ sind es Sinnestäuschungen. Im ›Corps‹ ist es die Täuschung, dass der Held glaubt, in einer
Studentenverbindung zu leben, während er in Wirklichkeit nur Versuchskaninchen in einem wissenschaftlichen Experiment ist.
Typisch ausgehende Neunziger, übrigens.« Er grinste.
Flo wartete ab.
»Im ›Metafilm‹ bin ich dann einen Schritt weiter gegangen«, fuhr David fort. »Dort war die Idee, dass nichtlänger irgendeine Scheinwelt durchschaut werden muss, um dahinter auf die Wahrheit, die wirkliche Welt zu stoßen, sondern
dass wir sozusagen die Durchschaurichtung umdrehen müssen. Dass wir erkennen müssen, dass der Schein selbst die Wirklichkeit
ist. Aber das ist eine Idee, die nur kurz einleuchtet. Die einen nicht befriedigt. Postmoderner Scheiß, kann man auch sagen.
Man gibt sich sozusagen mit der Scheinwelt zufrieden. Erklärt den Schein plötzlich zur Wahrheit. Eine Verzweiflungstat. Ein
Aufgeben. Eine Sackgasse. Als ich an dem Punkt stand, war ich nicht besonders gut drauf. Ich hatte Angst, dass das wirklich
das Ende sein könnte.« Wieder hielt er inne, starrte Flo an.
»Und?«, sagte der. »War’s doch nicht das Ende?«
» Nein! «
schrie David fast, lachte dann aber. »War es eben nicht. Das ist ja das Tolle, es geht weiter! Deshalb hab ich dich auch nach
Berlin geholt. Weil du mir helfen musst bei dem, was auf uns zukommt, wenn wir jetzt weitermachen.«
»Weitermachen in welche Richtung denn, herrje!«, brüllte nun auch Flo, denn er verstand immer weniger, was David da faselte.
»Ich hab’s doch eben gesagt. Die Idee, dass ein Schein durchschaut werden muss, die ist schon richtig. So gesehen, war der
›Metafilm‹ ein Schritt in die
falsche
Richtung. Aber der Schein, der durchschaut werden muss, ist eben nicht
theoretisch.
Es müssen keine täuschenden Sinneswahrnehmungen durchschaut werden, keine Scheinwelt. Der Schein, der durchschaut werden muss,
ist
praktisch
!«
Flo griff nach der Flasche. Praktisch. Was sollte das heißen?Aber er spürte, dass das, was David sagte, kein sinnloses Geplapper war. Er hatte nur noch nicht begriffen, wie es zusammenhing.
David sprach schon weiter. »Was wir durchschauen müssen, sind nicht unsere falschen
Wahrnehmungen
, sondern dass wir falsch
handeln
, wenn wir glauben, moralisch zu handeln, verstehst du? Und dafür ist Film ein hervorragendes Mittel. Wenn wir eine bestimmte
Situation in einem Film sehen, haben wir sofort und instinktiv ein moralisches Urteil. Und dieses Urteil stimmt nicht immer
mit dem Urteil überein, das sich aus der herrschenden Moral ergibt.«
Die Worte klingelten in Flos Ohren.
»Es gibt tatsächlich einen Schein, eine Illusion, die durchschaut werden muss«, redete David weiter auf ihn ein. »Und zwar
unsere
Moral
! Hinter dieser Scheinmoral müssen wir die
richtige
Moral erkennen! Das ist der nächste Schritt nach dem ›Metafilm‹!« Seine Augen blitzten. »Das ist der entscheidende Punkt,
verstehst du? Darum geht es. Wir müssen den Leuten begreifbar machen, dass sie die Scheinmoral durchschauen müssen.«
»Ich hör hier immer Moral. Was meinst du denn damit?« Langsam wurde Flo richtig ungeduldig.
David nickte, überlegte einen Moment und antwortete dann langsam. »Na, zum Beispiel, dass alle Menschen gleich sind.«
Es durchrieselte Flo ein wenig. »Womit wir wieder bei ›Tabu‹ wären.«
»Genau.«
»Also noch mal. Wie hängt das alles zusammen?«
David holte Luft, setzte sich an den Tisch, offensichtlichgewillt,
Weitere Kostenlose Bücher