Davina
dem Mann, der, den Telefonhörer in der Hand, an ihrem Platz saß. Der Mann stürzte auf ihn zu.
»Was machen Sie da? Legen Sie wieder auf – wie können Sie es wagen, sich hier einzuschleichen?«
Harrington gab rasch ein paar Worte auf russisch zurück. Der Mann drehte sich zu seiner Frau um; sie ergriff verängstigt seinen Arm. Einen Augenblick starrten beide Harrington an. Dann stammelten sie Entschuldigungen und eilten in ihr Zimmer zurück. Die Vermittlung meldete sich.
»Moskau«, sagte Harrington. Dann gab er die Nummer durch.
Das Fräulein vom Amt erkannte die ersten drei Ziffern des Spezialkodes. Sie stellte sofort die Verbindung her.
Alle Telefonanrufe mit den ersten drei Ziffern 669 wurden sofort in die KGB-Zentrale an der Dherschinsky-Straße weitervermittelt. Der Nachtdienst in der Vermittlung gab die Anrufe an den diensthabenden Offizier in der jeweiligen Abteilung weiter. Harringtons Anruf um 5.30 Uhr gelangte in Wolkows Sicherheitsabteilung und wurde vom diensthabenden Offizier auf Band aufgenommen. Am Samstagmorgen um 8.30 Uhr war Wolkows erster Stellvertreter im Dienstzimmer und ließ sich das Band abspielen. Die Nachricht war verschlüsselt. Aus den ersten beiden Worten ging hervor, daß es sich um Dringlichkeitsstufe eins handele, und aus den nächsten beiden, daß die Nachricht für Antoni Wolkow bestimmt sei. Der Stellvertreter war der junge Tatitschew, der seinen Chef ins Leichenschauhaus begleitet hatte, als Fedja Sasonowa den aus Großbritannien stammenden Leichnam identifizierte. Er konnte die Nachricht ohne Wolkows Spezialschlüssel nicht dechiffrieren, und dieser wurde in Wolkows persönlichem Safe aufbewahrt. Der Safe ließ sich nur durch die gleichzeitige Verwendung von zwei Schlüsseln öffnen. Der eine befand sich im Büro, und den anderen bewahrte Wolkow persönlich auf. Tatitschew ließ sich mit der Datscha seines Vorgesetzten verbinden. Er war an die strenge Geheimhaltung gewöhnt, mit der der Genosse General arbeitete. Er war bereits sieben Jahre unter ihm tätig und hatte gelernt, keine Fragen zu stellen. Er konnte mit der Meldung aus Livadia trotz des Dringlichkeitsvermerks nichts anfangen; er mußte Antoni Wolkow finden. Zwanzig Minuten vor neun erfuhr er vom Hausmeister, daß der Genosse General am Freitag nicht wie üblich nach Schukowa gekommen war.
Er konnte an diesem Morgen dort eintreffen. Tatitschew rief die Stadtwohnung des Generals an. Er ließ das Telefon längere Zeit läuten. Wolkows Fahrer Juri diente als Bursche und persönlicher Diener. Er hätte sich am Telefon melden müssen. Tatitschew fluchte vor sich hin. Keine Antwort aus der Wohnung. Wahrscheinlich waren sie bereits nach Schukowa unterwegs. Er meldete einen zweiten Anruf in der Datscha nach Ablauf einer Stunde an und machte sich an die Büroarbeit.
In dem kleinen Hotel in Jalta schliefen Irina und Alexei eng umschlungen. Sie hatte während des Fluges kein Wort gesprochen, da sie noch unter dem Schock der letzten Ereignisse stand. Jedes Mal, wenn sie die Augen zumachte, sah sie Wolkows Leiche und die allmählich größer werdenden Blutflecken auf dem Bett. Poliakow schien instinktiv zu wissen, wie er sie beruhigen konnte. Er hielt sie bei der Hand, bestellte Wodka bei der Stewardeß und flüsterte ihr tröstende Worte zu. Sie seien auf einer Urlaubsreise; sie müsse einen heiteren Eindruck machen. Man könne nie wissen, wer noch an Bord sei und sie beobachte. In Augenblicken der Krise war sie bisher immer die Stärkere gewesen; jetzt hatte er das Heft in die Hand genommen. Die erste und einzige Gewalttat in seinem Leben hatte ihm Haltung verliehen. Er hatte den Mut aufgebracht, die Situation zu retten, als alles schiefzugehen drohte. Mit dem Mord an Wolkow hatte er Irinas Demütigung gerächt und dem Engländer sein hochmütiges Verhalten heimgezahlt. Er war jetzt wirklich ein Mann, ein tapferer Mann, der einen Entschluß gefaßt und sie beide gerettet hatte. Er befand sich in Hochstimmung. Und Irina war glücklich, von ihm beschützt zu werden. Sie war glücklich, von ihm geliebt zu werden und einer gemeinsamen Zukunft mit ihm entgegenzugehen. Sie hatten eine leidenschaftliche Nacht miteinander verbracht und sich ein Leben voll Liebe geschworen. Sie träumte nicht. Als sie erwachte, kam es ihr vor, als hätte es nie einen Wolkow gegeben, sondern nur den neuen, zuversichtlichen Alexei Poliakow, der sich als ein richtiger Held entpuppt hatte.
Sie nahmen den ersten Bus nach Livadia. Es war ein
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