Davina
bunten Taschentuch winken.«
»O Gott«, sagte Davina. »Das klingt alles sehr gewagt. Was geschieht, wenn das Boot nicht da ist oder wenn wir uns verspäten? Warum können wir nicht über Land nach Sewastopol fahren?«
»Weil wir dazu keine Ausweise haben«, erklärte Irina. »In Russland kann man nicht beliebig irgendwohin fahren. Man braucht eine Genehmigung, um den Urlaubsort verlassen zu können. Der Ausflugsdampfer ist die einzige Möglichkeit.«
»Schön, dann werden wir es eben versuchen«, sagte Davina. Sie sah das Mädchen an und sagte sanft. »Sie sehen Ihrem Vater sehr ähnlich.«
»Kennen Sie ihn?«
»Ja«, sagte Davina. »Ich kenne ihn … Gibt es Neues von Ihrer Mutter? Er macht sich so große Sorgen um Sie beide –«
Irina ließ den Kopf hängen. »Ich habe einen Brief von ihr«, sagte sie. »Sie hat ihn unter Druck geschrieben. Ich weiß nicht, ob ich ihn ihm geben soll oder nicht.«
»Überlegen Sie sich das, wenn Sie drüben sind«, riet Davina.
Harrington drehte sich um und runzelte die Stirn.
»Kommt her, warum bleibt ihr so weit zurück?«
Irina faßte Davina am Arm. »Da ist noch etwas anderes«, flüsterte sie rasch. »Wir sollen Sie warnen, daß das KGB einen Informanten hat. Die Leute wissen, warum wir hier sind. Sie wissen, daß mein Vater mich herausholen läßt.«
Davina hatte das Gefühl, als gebe der Boden unter ihr nach. Sie drehte sich entsetzt zu der Russin um. Jede Spur von Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen, sie sah bleich und grau unter der Sonnenbräune aus. »Was? Das KGB weiß Bescheid?«
»Ja«, wisperte Irina. »Der Mann von der Botschaft hat Alexei gesagt, er soll Sie warnen. Man weiß nicht, wer es ist. Aber er kann ihnen von dem Ausflugsdampfer nichts erzählt haben, weil nur Alexei und ich und der Mann von der Botschaft wissen, daß wir diesen Weg benutzen werden.«
Davina zwang sich weiterzugehen. Harrington verlangsamte den Schritt, damit sie ihn einholen konnten.
… Spencer-Barr war der Mann von der Botschaft. Spencer-Barr, dem Peter Harrington nie getraut hatte. Und er hatte vor einem Spion gewarnt, der das KGB über den ganzen Plan auf dem laufenden hielt. Ihr wurde plötzlich übel.
»Er ist tot«, flüsterte Irina. Sie sah Davina triumphierend an. »Alexei hat ihn getötet.«
»Wen getötet?« Davina sah sie fassungslos an. »Wer ist tot?«
»Wolkow«, antwortete das Mädchen. »General Wolkow vom KGB. Er war der Boss meines Vaters. Er ließ meine Mutter verhaften und zwang mich, mit ihm zu schlafen. Er ließ mich ausreisen, damit ich meinen Vater zur Rückkehr bewegen kann und er sich im Austausch für meine Mutter den Behörden stellt. Alexei hat ihn erstochen. Er war so tapfer«, sagte sie, und ihr Gesicht glühte. »Ich hätte nie gedacht, daß er so etwas tun könnte. Den Leibwächter hat er vergiftet. Dieser Mann wird ihn nicht hier zurücklassen.«
»O Gott«, sagte Davina, »wie entsetzlich – haben Sie es gesehen? Haben Sie gesehen, wie er es tat?«
»Ich lag mit Wolkow im Bett«, sprach das Mädchen. »Alexei kam ins Schlafzimmer und stach auf ihn ein. Wolkow war sadistisch veranlagt; er machte sich einen Spaß daraus, anderen Menschen weh zu tun. Er hat mir immer weh getan, wenn wir ins Bett gingen. Die beiden werden ein oder zwei Tage nicht gefunden werden; er fuhr an den Wochenenden immer zu seiner Datscha hinaus. Man wird ihn erst am Montag vermissen, und bis dahin sind wir weg.«
Davina entzog ihr ihren Arm. »Ich muß mit ihm sprechen.« Sie wies mit einer Kopfbewegung auf Peter Harrington. »Sie wandern jetzt weiter mit Alexei; da ist ein Café in der Nähe des Livadia-Palastes – es hat einen grünen Baldachin und Tische im Freien. Dort treffen wir uns in einer halben Stunde. Peter! Warte einen Augenblick!«
Sie erreichten die beiden Männer, und Irina sagte ganz schnell etwas zu Poliakow auf russisch. Die beiden drehten sich um und gingen davon. Harrington wandte sich Davina zu. – »Was soll das alles bedeuten? Warum hast du sie allein weitergehen lassen? Wir dürfen sie nicht aus dem Blick verlieren! Was hast du vor? Was hat dir dieses Mädchen gesagt – dort hinten, wo ich euch nicht hören konnte?«
Ihr war, als stünde sie einem Fremden gegenüber. Sein Gesicht schien wutverzerrt.
»Ich weiß nicht, was diese Idioten in London mit uns vorhaben«, sagte er. »Sie belasten uns mit dem Freund des Mädchens, und woher sollen wir wissen, ob er echt ist? Er könnte ebensogut eingeschleust sein – und
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