Davina
sich gar nicht bewußt, wie fest sie sich an ihn klammerte. Er trat von der Reling zurück. Er lächelte, und sein Tonfall klang gelassen, als er sagte: »Wir gehen jetzt gleich an Land. Die Gangway wird bereits runtergelassen.« Kaum hatte er zu Ende gesprochen, kam über den Lautsprecher eine Bekanntmachung. Sie spürte, wie er erstarrte.
»Was ist los? Was wird da gesagt?«
»Pst, warte – ich verstehe nichts …« Und dann sagte er: »O Gott«, und sie sah, wie sein eben noch gelöster Gesichtsausdruck in dunkler Vorahnung wie von einer Maske überschattet wurde.
»Was ist denn?« flüsterte sie. »Ist etwas passiert?«
»Sie lassen niemanden an Land gehen«, sagte er. »O Gott, das ist wirklich das letzte. Wir suchen jetzt besser die beiden anderen und bleiben beieinander. Ich werde einmal nachsehen, was ich herausbekommen kann. Vielleicht dauert die Sperre nur so lange, bis die neuen Passagiere an Bord gekommen sind. Dann könnten wir die Anlegestelle immer noch zeitgerecht erreichen. Du suchst jetzt die anderen. Ich gehe auf die Brücke und sehe einmal nach, was hier gespielt wird.«
Davina sah ihn davoneilen. Aber nicht zur Brücke, sondern zur Bar und zur Handtasche, die dort aufbewahrt wurde. Irina und Alexei warteten hinter dem Schott außer Sichtweite. Sie rannte los, um die beiden zu suchen. Die Gangway war inzwischen verankert worden. Die beiden Matrosen und der Bootsmann hatten am oberen Ende Posten bezogen und eine Kette quer über den Austritt gespannt.
Sie rief Irina zu: »Jetzt rasch! Sagen Sie ihm, er soll um Gottes willen keinen unsicheren Eindruck machen. Schnell!«
Dann ging sie an die Reling zurück und umklammerte sie mit zitternden Händen. Sie wagte kaum hinzuschauen, was geschah, wenn Alexei Poliakow und Irina Sasonowa oben an die Gangway traten.
Harrington stürzte auf den Barmixer zu.
»Die Handtasche«, forderte er. Der Mann schüttelte den Kopf. Der Ton dieses Ausländers paßte ihm nicht.
»Sie ist nicht da«, erklärte er mürrisch.
Harrington starrte ihn an. »Was soll das heißen? Ich habe die Tasche bei Ihnen gelassen, als wir an Deck gingen!«
»Sie ist noch einmal zurückgekommen, um die Tasche zu holen«, sagte der Barmixer. »Ich habe sie ihr gegeben.«
Harrington wollte laut fluchen, hielt sich aber zurück. Nur ruhig, sagte er sich. Ruhig. Wolkow hat deine Nachricht bekommen. Sie haben das Schiff gesperrt, sie können nicht entkommen. Sie werden gleich verhaftet. Aber ich brauche diese Handtasche, für den Fall aller Fälle. Aber dann fiel ihm ein, daß Davina die Tasche nicht bei sich gehabt hatte, als sie die Bar verließ.
Er wandte sich wieder dem jungen Russen zu.
»Sind Sie ganz sicher, daß Sie die Tasche der richtigen Frau ausgehändigt haben? Der Frau, die hier neben mir saß?«
»Ganz sicher«, lautete die Antwort. »Einer Deutschen, der, die hier mit Ihnen gesessen hat, Genosse. Ich habe ihr die Tasche zurückgegeben.«
»Wann war das?« fragte Harrington.
»Ungefähr vor einer halben Stunde.« Der Barmixer drehte Harrington den Rücken zu und begann, Flaschen ins Regal einzuräumen. Harrington rannte hinaus, auf die Brücke zu. Ein Wachposten versperrte ihm den Weg. Er herrschte ihn auf russisch an.
»Ich muß mit dem Kapitän sprechen. Dienstlich.«
»Tut mir leid. Kein Zutritt zur Brücke.« Harrington holte tief Luft und sagte: »Ich bin Offizier des KGB.«
Der Posten richtete sich auf. »Ich kann Sie ohne Ausweis nicht durchlassen, Genosse.«
Harrington wollte keine Zeit vergeuden. Er sagte: »Sie werden es noch bedauern, mich behindert zu haben«, und wandte sich ab. Er fand Davina an die Reling gelehnt, wo er sie vorhin verlassen hatte. Alexei Poliakow war direkt auf den Bootsmann zugegangen, der am oberen Rand der Gangway stand. Er machte einen entschlossenen Eindruck, und in seinem Verhalten lag eine Arroganz, die den Bootsmann auf der Hut sein ließ. Irina folgte ihm auf den Fersen. Er sprach zu dem Mann mit leiser, scharfer Stimme.
»Aufmachen! KGB.«
Der Bootsmann warf einen kurzen Blick auf die vorgehaltene Hand und sah, wie der rote Ausweis eine Sekunde lang aufgeklappt und ebenso schnell wieder zugeschlagen wurde. Er stand stramm und grüßte. Er gab dem Matrosen auf der linken Seite einen kurzen Befehl, und sofort wurde die Kette ausgehakt.
Alexei ergriff Irinas Arm, und sie erreichten den Kai. Der Bootsmann sah ihnen nach. Die Kette wurde wieder eingehängt, und er hielt den Blick auf die anderen Passagiere an Deck
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