Davina
Morgen besuchen wollten. Das Schiff blieb über Nacht dort liegen und kehrte am nächsten Tag nach Jalta zurück.
Peter Harrington ging zur Bar auf dem Sonnendeck. Er bestellte einen Wodka Stolytschnaja – den starken russischen 45prozentigen Schnaps – und eine Portion eingelegte Gurken und Zwiebeln.
»Bestellt euch auch einen«, schlug er Davina und dem jungen Paar vor. »Ein großartiges Zeug – es bringt einen fast um! Es war Stalins Geheimwaffe bei der Konferenz von Jalta.« Er fuhr leiser fort: »Er machte Roosevelt, den alten Idioten, damit betrunken und ließ sich Polen und das halbe Deutschland auf einem Silbertablett servieren …« Er legte den Kopf zurück und lachte.
»Bitte«, flüsterte Poliakow ihm zu, »reden Sie nicht so …« Er sah sich besorgt um; niemand saß in der Nähe, aber der Barmixer schaute ihnen zu. Harrington klopfte ihm beruhigend aufs Knie.
»Keine Angst, mein Freund. Niemand kann mich hören. Wollen Sie wirklich keinen?«
Poliakow schüttelte den Kopf. »Ich glaube, wir gehen jetzt an Deck«, sagte er. Er nahm Irinas Arm und führte sie entschlossen zur Tür.
»Er scheint was gegen mich zu haben«, meinte Harrington. »Nimm einen Schluck«, sagte er zu Davina. Sie wollte das Glas nicht annehmen, aber er bestand darauf. Sie nippte kaum. Dasselbe Glas wie er zu benutzen, ekelte sie an.
»Ich finde, du solltest aufpassen«, sagte sie. »Das ist praktisch reiner Alkohol.«
»Ich genehmige mir nur diesen einen«, sagte er. »Bloß, um die Flöhe in meinem Magen loszuwerden. Was ist eigentlich los mit dir, Davy? Du siehst wie eine Volksschullehrerin aus, streng und zugeknöpft. Da steht dir nicht.«
»Es steht dir auch nicht, dich zu betrinken«, gab sie zurück. »Ich geh jetzt auch an Deck.«
»Einen Augenblick.« Er griff nach ihrem Arm und hielt sie fest. »Was hast du denn? Du kanzelst mich dauernd ab – ich betrinke mich doch gar nicht! Für was für einen Idioten hältst du mich eigentlich?« zischte er wütend.
Davina riß sich los.
»Ich weiß nicht«, sagte sie. »Was für ein Idiot bist du denn? Sag mir das doch!« Sie drehte sich um und ging. Sie mußte ihn loswerden; alles, was er tat, widerte sie an, und sie konnte es jetzt nicht mehr verheimlichen. Während er dasaß und den Narren spielte, hatte sie nicht übel Lust gehabt, ihm das Glas Wodka aus der Hand zu schlagen.
Er wollte sich nicht betrinken, er wappnete sich für den Augenblick, an dem er sie verraten würde. Sie stand an der Reling und blickte hinunter auf die weißen Schaumkronen. Sie atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Die Sonne schien heiß vom Himmel, und die frische Meeresbrise zerzauste ihre Haare. Sie durfte sich nichts anmerken lassen, weil er sonst mißtrauisch werden könnte. Sie mußte zur Bar zurückgehen und bei ihm bleiben, bis sie in Sewastopol anlegten. Aber zunächst mußte sie noch ein letztes Wort mit Irina sprechen.
»Sie wissen, was Sie zu tun haben?«
Irina nickte. »Ja. Wir werden es tun. Aber wir machen uns große Sorgen, weil wir Sie zurücklassen sollen.«
»Daran dürfen Sie nicht denken«, sagte Davina. »Ich werde nachkommen. Aber Sie dürfen das, was ich Ihnen gegeben habe, nur verwenden, wenn der allerschlimmste Fall eintritt. Haben Sie verstanden?«
»Ja«, versprach Irina.
»Ich möchte, daß Sie mir noch einen Gefallen tun«, sagte Davina leise. »Wenn ich nicht mit auf das Segelboot kommen kann – würden Sie Ihrem Vater, wenn Sie ihn wieder sehen, etwas von mir ausrichten?«
»Selbstverständlich«, sagte das Mädchen. Sie machte ein unglückliches Gesicht. »Ich tue dies alles nur sehr ungern – auch Alexei …«
»Sagen Sie Ihrem Vater, ich lasse ihn herzlich grüßen.«
Irina Sasonowa hob den Kopf. »Ich lasse ihn herzlich grüßen.« Und Irina erkannte plötzlich die tiefere Bedeutung dieser Worte in den Augen der anderen Frau. Tränen rannen Davina über das Gesicht.
Irina begriff den eigentlichen Sinn des Opfers, das diese Frau auf sich nahm, um ihr und Alexei zur Flucht zu verhelfen. Sie legte sanft ihre Hand auf Davinas Arm und sagte: »Ich werde es ihm sagen … aber Sie müssen auch herauskommen.«
»Wenn ich Sie nicht wieder sehen sollte«, sagte Davina leise, »viel Glück. Sagen Sie Ihrem Freund Lebewohl von mir. Was auch geschehen sollte, zögern Sie nicht und denken Sie nicht an mich.«
Dann drehte sie sich um und entfernte sich rasch. Mit dem Handrücken wischte sie sich die Tränen von den Wangen und nahm sich
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