Davina
James White.
Harrington setzte ein erstauntes Lächeln auf. »Ich habe nicht gesehen, wie die jungen Leute das Schiff verlassen konnten«, sagte er. »Ich hörte die Bekanntmachung, daß niemand an Land gehen dürfe, und ich dachte bei mir – verdammt noch mal, jetzt ist alles vorbei! Ich rannte los, um sie zu finden, aber sie waren nicht mehr da … Wie konnten sie an den Wachposten auf der Gangway vorbeikommen?«
James White schob eine Hand in die Tasche; er blickte Peter Harrington lächelnd an. Plötzlich trat Stille im Zimmer ein. Er zog die Hand aus der Tasche und legte den roten Ausweis mit dem Schild und den gekreuzten Schwertern auf den Tisch.
»Sie haben dies hier benutzt«, sagte er, »es scheint Ihnen zu gehören.«
»Setzen Sie sich, Genossin Sasonowa«, sagte Oberstleutnant Tatitschew. »Ich hoffe, die Fahrt hat Sie nicht zu sehr angestrengt.«
Fedja Sasonowa schaute zu ihm auf. Ihr Gesicht war ausdruckslos; sie hatte die Hände im Schoß gefaltet und wartete. Die Fahrt war nicht ermüdend gewesen. Sie hatte im Zug ein Schlafabteil bekommen. Sie wurde von einer Beamtin des KGB bewacht, die ihr nicht sagen wollte, wohin sie fuhren, die aber sonst freundlich und rücksichtsvoll gewesen war. Fedja hatte gelernt, keine Fragen zu stellen, wenn sonst alles in Ordnung schien. Sie hatte lange, zermürbende Wochen in dem Durchgangslager verbracht und jeden Tag auf die Verlegung in die weiße Hölle von Kolyma gewartet. Schließlich schlug ihr Leiden in hoffnungslose, abgestumpfte Resignation um. Sie sah andere kommen und gehen, und als sie aus ihrer Hütte herausgerufen wurde und den Befehl erhielt, sich für die Reise fertig zu machen, senkte sie den Kopf und flüsterte den wenigen, die weiter warten mußten, ein leises Lebewohl zu, denn sie glaubte, daß diese Reise ihre letzte sein würde.
Jetzt befand sie sich in der Zentrale des KGB an der Dserschinsky-Straße, und der junge Mann war derselbe, der Wolkow in das Leichenschauhaus begleitet hatte. Er gab sich sehr freundlich, und das beängstigte sie. Furcht stieg in ihr hoch; die unnatürliche Ruhe der Verzweiflung verließ sie angesichts dieser Liebenswürdigkeit. Der bequeme Sessel, die höflichen Fragen, das verbindliche Lächeln. Ihr Herz schlug zappelnd wie ein Fisch an der Leine.
»Wie geht es meiner Tochter?«
»Sehr gut«, sagte Tatitschew. »Sie brauchen sich wegen ihr keine Sorgen zu machen. Sie möchten sicherlich wissen, warum wir Sie hierher gebracht haben? Gut, ich werde es Ihnen sagen.«
Er zog seinen eigenen Stuhl neben den ihrigen. »Ich habe den Auftrag, Genossin Sasonowa, mich bei Ihnen für einen schrecklichen Justizirrtum zu entschuldigen. General Kaledin persönlich hat Ihre Freilassung angeordnet. Das KGB scheut nicht davor zurück, einen Fehler zuzugeben. Sie hätten nie verhaftet werden dürfen. Wenn Genosse Wolkow noch am Leben wäre, würde er für seine Taten vor Gericht gestellt werden.« Sie sah furchtbar ausgemergelt aus, und ihre Haut hatte die weißlichgraue Färbung, wie man sie bei Häftlingen antrifft. Er empfand ihretwegen ehrliche Empörung.
Ihre Mundwinkel sackten ab. Sie starrte ihn ungläubig an. »Er ist tot? Antoni Wolkow?«
Tatitschew nickte. »Ein Herzanfall. Als die Behörden die Akten durchsahen, wurde seine kriminelle Handlungsweise bekannt. Sie wurden auf Grund einer falschen Anklage inhaftiert … einer Anklage, die von Antoni Wolkow fabriziert worden war. Sie haben den Leichnam Ihres Gatten identifiziert, nicht wahr?«
»Ja«, hauchte sie.
Er nickte wieder. »Und Sie haben recht gehandelt. Ihr Gatte ist tot, und es war seine Leiche, die man bestattet hat. Sie haben lediglich die Wahrheit gesagt, und dafür sind Sie ungerecht bestraft worden.
Wollen Sie die Entschuldigung unseres Dienstes annehmen? General Kaledin wird dafür sorgen, daß Sie eine Generalspension erhalten. Dieser Rang wird ihrem Gatten posthum verliehen werden. Eine neue Wohnung ist Ihnen zugewiesen worden; Sie erhalten Ihre Privilegien zurück, Genossin Sasonowa. Von jetzt an stehen Sie unter dem besonderen Schutz des KGB.«
Sie fand keine Worte. Sie starrte ihn an, und ihre Lippen begannen zu zittern. Er wollte Sie nicht zum Weinen bringen; sie stand noch unter dem Schock und war geschwächt, aber wenn sie erst einmal erkannte, wie großzügig sie behandelt worden war, würden ihre Tränen in ein dankbares Lächeln übergehen.
»Wo ist Irina? Warum muß ich umziehen? Hat Wolkow ihr etwas angetan?«
»Nein«, sagte
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