Davina
merkwürdiges Gefühl«, sagte er plötzlich.
Sie blieb stehen und drehte sich nach ihm um. »Wieso? Wieso merkwürdig?«
»Weil ich meinen Käfig so lange nicht verlassen habe. Ich habe mit keinem Menschen mehr gesprochen.«
Sie war jeder körperlichen Berührung mit ihm bisher aus dem Wege gegangen. Bei den wenigen Gelegenheiten, wo sie sich berührt hatten, war sie nervös geworden. Jetzt legte sie ihm die Hand auf den Arm.
»Sie sind aus dem Käfig heraus«, erklärte sie. »Und mit anderen Menschen zu reden, ist genau das, was Sie brauchen. Kommen Sie.«
Durch die Fenster am hinteren Ende der Halle konnte er die kleine Gruppe draußen auf der Terrasse sehen. Und dann hatte Davina eine Tür geöffnet und trat bereits in den Garten hinaus.
»Liebling – wir haben euch gar nicht kommen hören.« Er sah, wie die hochgewachsene, weißhaarige Frau sie küßte und wie dann die kleinere Gestalt eines Mannes vom Gartenstuhl aufstand und sie flüchtig auf die Wange küßte.
»Das ist Pawel – ich will gar nicht erst versuchen, seinen Nachnamen auszusprechen. Mein Vater, Captain Graham; meine Mutter.« Er gab ihnen die Hand und hörte dann Davina hinter sich sagen: »Hallo, Charley. Wie nett, dich wieder zu sehen … Pawel, meine Schwester Charlotte Ransom.«
Er drehte sich um, bei der Nennung des Namens hatte er einen Mann erwartet.
Sie war schön. Es gab kein passenderes Wort. Hübsch, attraktiv, apart waren alles Bezeichnungen, die auf viele Frauen passten.
Aber sie war einfach schön. Er gab ihr die Hand. Sie lächelte, und es wurde ihm warm ums Herz. Haare wie Davina und doch nicht die gleichen, denn sie hatten die flimmernde Färbung spanischen Mahagonis und fielen ihr in natürlichen Wellen bis auf die Schultern herab. Große, graue Augen, umrahmt von Wimpern, die künstlich hätten sein können, aber ihre eigenen waren. Ein Gesicht, das auf den ersten Blick klassisch wirkte, ein harmonischer Gleichklang der Züge. Der Ausdruck änderte sich, wenn sie lächelte, und wurde dann sinnlich und herausfordernd. Sie trug lange Hosen und ein Hemd, sowie einen Pullover, den sie mit den Ärmeln um die Taille geknotet hatte. Er sah, daß sie Goldketten um den Hals und einen breiten Goldring an der linken Hand trug.
»Hallo«, sagte sie, »ist es nicht ein wunderschöner Abend? Kommen Sie, setzen wir uns.«
Er zögerte, und Davina fragte: »Sollen wir nicht erst unsere Koffer hinaufbringen?«
»Nein, Liebes«, sagte Mrs. Graham, »das könnt ihr später tun. Wir nehmen hier draußen noch einen Drink, bevor es zu kühl wird. Bitte, nehmen Sie Platz, Pawel. Was möchten Sie trinken?«
»Ich gehe«, sagte Captain Graham, »Davina?«
»Wodka und Tonic, bitte.«
Er wandte sich Sasonow zu und sagte: »Ich weiß Ihren Nachnamen leider nicht. Aber wenn schon meine Tochter sagt, daß sie ihn nicht aussprechen kann, dann kann ich es bestimmt auch nicht! Deshalb werden wir alle Sie Pawel nennen. Was möchten Sie trinken?«
»Wodka«, sagte Sasonow, »ohne Tonic, vielen Dank.«
Er saß neben der Schwester. Sogar im Garten roch er das Parfüm, das sie benutzte. Es war schwer und aufreizend, sie lehnte sich zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Diese Haltung betonte ihre kleinen, wohlgeformten Brüste. »Was tun Sie in England?«
»Ich bin in der Botschaft tätig«, antwortete er. »Ich bin Handelsattache.«
»Bedeutet das nicht, daß Sie ein Spion sind? Ich dachte, alle Handelsattaches wären in Wirklichkeit Spione.« Ihr Lächeln überdeckte ein verlegenes Schweigen.
»Aber Charley –«, protestierte Mrs. Graham.
»Nein«, entgegnete Sasonow, »die Wirtschaftsattaches sind die Spione. Nicht die Handelsattaches. Ich bin ganz harmlos.«
Alle lachten. Er sah Davina nicht an.
»Wie lange sind Sie schon in England?« fragte ihn Charley Ransom.
»Ein Jahr«, sagte er, »mir gefällt England sehr gut.«
»Und sind Sie mit Davina schon lange befreundet?« Sie schien mit den Augen zu zwinkern, als ob etwas Gewagtes daran wäre, Freund ihrer Schwester zu sein. Ihr Charme wogte wie ihr Duft in Wellen zu ihm herüber.
»Noch nicht sehr lange«, sagte er. Er wünschte, Davina würde diesen Strom von Fragen unterbrechen. Aber sie unterhielt sich mit ihrer Mutter.
»Wohnen Sie hier in der Nähe?« Er nahm ihr die Initiative ab.
»Ich lebe in London«, sagte sie. »In einer Etagenwohnung am Portman Place. Sie müssen einmal auf einen Drink bei mir vorbeikommen.«
»Das ist sehr liebenswürdig von
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