Davina
der Haare. Die andere Art von Tränen waren schon vor langer Zeit vertrocknet. Diesmal schmerzte es nicht, einen Mann an Charley zu verlieren. Sie konnte in aller Ruhe zusehen, wie ihre Schwester Sasonow verführte, denn diesmal würde es zu ihren Gunsten ausgehen. Charley konnte ihn zugänglicher machen und die Spannung lösen, die ihn so rastlos und missvergnügt gemacht hatte. Charley, die Unwiderstehliche, die immer wieder anderen Frauen die Männer wegnahm, würde ihrerseits zum Werkzeug. Das Gesicht im Spiegel war hart und unscheinbar, die Mundwinkel herabzogen. Es war reine Ironie, wenn die Schwester, die ihr Privatleben zerstört hatte, ihr jetzt bei Sasonow eine Hilfe war. Das war ein Detail, das den Brigadier belustigt hätte.
Sie zog Rock und Bluse aus, schlüpfte in ihren Morgenmantel und fand die Badezimmertür verriegelt. Charley war drinnen. Sie verbrauchte sicher wieder das ganze heiße Wasser. Davina wusch sich am Waschbecken in ihrem Zimmer und zog sich den dunkelblauen Rock und den Pullover an. Dann richtete sie sich das Gesicht her und frisierte die Haare zu einem hohen, glatten Knoten. Charley würde sicherlich mit so kunstvoll zerzausten Haaren erscheinen, daß es aussah, als hätte sie vor weiß Gott wie langer Zeit zuletzt einen Kamm benutzt. Und sie würde ihre ganze Aufmerksamkeit auf Sasonow richten, das von ihr auserwählte und verfolgte Opfer, und ihr Vater würde nachsichtig zuschauen. Er hatte sich immer über die Eroberungen seiner schönen Tochter gefreut. Manchmal war ihrer Mutter eine gewisse Verlegenheit anzumerken, aber auch sie hatte sich mit Charleys Wirkung auf Männer abgefunden, sie sprach sich selbst von jeder Schuld frei. Charley war einfach zu schön und zu attraktiv. Davina betrachtete sich noch einmal im Spiegel. Zu groß, zu mager, zu ordentlich. Und zu intelligent. Charley hatte die Schönheit bekommen, Davina den Verstand.
Sie ging und klopfte an Sasonows Tür. Es kam keine Antwort, und sie öffnete. Das Zimmer war leer, er war schon hinuntergegangen. Ein halbes Lächeln lag auf ihrem Gesicht, als sie ins Wohnzimmer trat und ihn dort mit ihrer Schwester am Schachbrett sitzen sah.
3
Der höhere Polizeioffizier, der mit dem Brigadier in dessen Klub zu Mittag gegessen hatte, machte sich noch vor der Fahrt ins Wochenende daran, seinem Freund die gewünschte Leiche zu liefern. Er lebte mit Frau und zwei Söhnen, die kurz vor ihrem Schulabschluß standen, am Ortsrand von Dartford in Kent. An Samstagvormittagen spielte er gerne Golf. Das entspannte ihn. Er wies sein Büro an, an der Küste Nachforschungen anzustellen und jeden, der kürzlich im Themsegebiet ertrunken war, mit einem Sicherheitsvorbehalt zu versehen. Sein unmittelbarer Untergebener fuhr an den Wochenenden nicht nach Hause und hatte auch keine Zeit zum Golfspielen. Als also am Freitagabend der Brigadier mit seiner Frau zu Nachbarn zum Essen fuhr, sein Vorgesetzter vor dem Fernseher saß und sich die Grahams mit ihren beiden Töchtern und ihrem Gast zum Abendessen niederließen, waren der Spezialeinheit vier Tote, die in etwa den Anforderungen entsprachen, gemeldet worden. Zwei waren zu identifizieren und bereits als vermisst gemeldet worden; beide waren geisteskranke Selbstmörder. Vom dritten war kaum mehr als ein männlicher Torso übrig geblieben, da er vor Skegness in das Netz eines Trawlers geraten war. Aus dem Kurzbericht ging hervor, daß er wahrscheinlich einem Mord zum Opfer gefallen war. Beim vierten handelte es sich um eine Leiche, die schon einige Zeit im Wasser gelegen haben mußte; sie war bereits in Verwesung übergegangen, aber auf einem Unterarm war noch eine Tätowierung zu erkennen, die den Rückschluss zuließ, daß der Tote Seemann gewesen war. Eine kurze Untersuchung erbrachte einen goldenen Zahnersatz, der für englische Zahnärzte nicht typisch war. Diese Leiche schien den Erfordernissen am besten zu entsprechen.
Der Tote wurde mit einer Sondergenehmigung, die vom Chef der Spezialeinheit noch vor dessen Abfahrt am Freitagnachmittag unterzeichnet worden war, aus der Leichenhalle an der Südostküste entfernt und unter offiziellem Siegel in ein kleines Privatleichenhaus verlegt. Nach dem Wochenende würde ein Chirurg die Reste der linken Hand amputieren und den anderen Arm am Ellbogen abtrennen, wodurch die Tätowierung verschwinden und jede Möglichkeit einer Identifizierung durch Fingerabdrücke ausgeschlossen sein würde. Zu gegebener Zeit würde sich ein Zahnarzt des Gebisses
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