Davina
Ihnen«, meinte Sasonow.
Sie hatte begonnen, mit einer der Goldketten, die sie um den Hals trug, zu spielen. Ein großes Medaillon mit dem Sternkreiszeichen des Widders hing daran. Sie hatte schöne Hände mit langen lackierten Fingernägeln. Der Ehering war ein breites, mit einem kleinen Diamanten besetztes Band.
»Charley«, sagte Captain Graham, »du hast ja gar nichts zu trinken –« Sasonow erfasste den Blick besonders herzlicher Zuneigung, den der Vater seiner Tochter zuwarf. Er freute sich über die Unterbrechung, sie erlöste ihn von Charley Ransoms Fragen. Er blickte hinüber zu Davina, trank rasch sein Glas aus und stand auf. »Ich bringe die Koffer nach oben«, sagte er.
»Ich werde Ihnen Ihr Zimmer zeigen.« Davinas Mutter ging vor ihnen her.
Er hörte den Vater und die jüngere Tochter über irgendeinen Scherz lachen, während sie ins Haus gingen.
Die Treppe war schmal, er folgte Davina und trug die beiden Koffer. Mrs. Graham öffnete die Tür.
»Dies ist Ihr Zimmer«, sagte sie zu ihm, »das Badezimmer ist dort auf der anderen Seite des Korridors. Davina, Liebes, du bist natürlich in deinem alten Zimmer.«
Davina trat an Sasonow heran. »Ich nehme meinen Koffer selber«, bestimmte sie.
Er hielt das Gepäckstück fest. »Nein, er ist schwer. Ich trage ihn für Sie.«
Er war über ihr Schlafzimmer erstaunt. Es war ein hübscher Raum, mit frischen Blumen und einem schmalen Bett. Da waren Bücher und Spielzeuge aus Wolle sowie eine Sammlung kleiner Porzellantiere auf einem Regal. Es war ein Kinderzimmer. Es war nirgends zu erkennen, daß die Bewohnerin jemals erwachsen geworden war.
»Vielen Dank«, lächelte Davina, »legen Sie den Koffer ruhig aufs Bett. Wir sind gleich unten«, sagte sie zu ihrer Mutter.
»Ihr braucht euch nicht zu beeilen, Liebling. Abendessen gibt es erst um Viertel nach acht. Pawel möchte sicherlich gerne baden. Ich würde mich beeilen, bevor Charley das ganze heiße Wasser verbraucht.«
»Ja«, sagte Davina, »ich erinnere mich, das hat sie immer getan. In etwa einer halben Stunde klopfe ich bei Ihnen«, sagte sie zu Sasonow.
Sie ging zu dem Koffer, der auf dem Bett lag, und öffnete ihn. Sie kleidete sich sehr schlicht. Schon vor Jahren hatte sie erkannt, daß sie nicht der Typ war, zu dem eine elegante Garderobe oder viel Make-up passten. »Du siehst viel besser ohne das ganze Geschmier auf deinem Gesicht aus«, hatte ihr Vater gesagt, als sie begann, ihr Aussehen zu verbessern.
»Bleib ganz natürlich – das steht dir besser.« Sie hatte ohne weiteren Widerstand aufgegeben. Es war nur Zeitverschwendung, mit einer Schwester konkurrieren zu wollen, die so schön war, daß die Unterhaltung stockte, wenn sie ins Zimmer trat.
Sie packte ihre Sachen aus und hängte den langen Wollrock und den Pullover, die sie an diesem Abend anziehen wollte, auf einen Haken. Das geliebte, vertraute Zimmer – der sichere Hafen ihrer Kindheit. Sie hob den zerschlissenen Tiger auf, dem ein Auge fehlte – ein Weihnachtsgeschenk von vor zwanzig Jahren. Sie berührte die Glastiere eines nach dem anderen und wußte noch genau, wann diese Geburtstag hatten und wann jedes einzelne ihrer Sammlung hinzugefügt worden war. Als Kind hatte sie Tiere geliebt, ihr Traum als Teenager war es gewesen, Tierärztin zu werden. Dazu hätte sie natürlich von zu Hause weglaufen müssen. Sie verstand jetzt ihre Beweggründe. Sie wollte einen Ersatz für die gefährliche Liebe zu den Menschen finden. Tiere waren treu und unkritisch. Bei Pferden, Hunden und Kaninchen, die sie liebte, lief sie keine Gefahr, abgewiesen zu werden, weil ihre Schwester alle Aufmerksamkeit auf sich zog. Sie öffnete das Fenster und schaute auf den Garten hinaus. Charley und ihr Vater waren ins Haus gegangen, die Stühle standen noch unten auf der Terrasse. Sie hatten auch das Tablett mit den Drinks stehen lassen.
Sasonow war von ihrer Schwester fasziniert. Ähnliches hatte sie schon oft genug erlebt. Sie brauchte die beiden gar nicht zu beobachten, um zu wissen, daß Charley ihren Sexappeal und Charme voll zum Einsatz brachte. Und der Russe ging, wie jeder andere Mann, der ihr begegnete, darauf ein. Sie ließ das Fenster offen und begann, ihre Bürsten und die wenigen Kosmetikartikel herauszulegen. Sie öffnete ihr Haar und bürstete es. Der Wind bei Salisbury Plain hatte es zerzaust, das Bürsten tat weh. Sie betrachtete sich im Spiegel, mit zusammengekniffenem Mund und Tränen in den Augen. Die Tränen kamen vom Ausbürsten
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