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Davina

Titel: Davina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Evelyn
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Wind.«
    Sie parkten hinter einer Wagenreihe; einige Fahrzeuge waren bunt bemalt und warteten auf Touristen. Ein in allen Farben prangender Andenkenladen verkaufte Postkarten, Farbdias und Plastikmodelle der Riesensteine. Sie schlossen sich einer Besuchergruppe an, die um die Absperrung herumwanderte, die sie vom inneren Ring trennte.
    »Es sieht jetzt viel größer aus; von der Straße aus gesehen, wirkte alles viel kleiner. Sie haben recht«, sagte Sasonow und knöpfte sich seine Jacke zu. »Es geht ein Wind.«
    »Die Druiden haben hier ihre Gottheit verehrt«, sagte Davina. Ihre Haare lösten sich aus den Nadeln und begannen, ihr in kleinen Strähnen ums Gesicht zu flattern. »Aber die Menschen, die die Steine aufgerichtet haben, lebten viel früher. Ursprünglich waren es zwei Kreise, aber nur der innere Ring ist übrig geblieben. Sehen Sie dort den großen Stein in der Mitte?« Er folgte mit den Augen ihrem Finger. »Ja. Ich sehe ihn.«
    »Das ist der Altarstein«, bemerkte Davina. »Die Strahlen der aufgehenden Sonne berühren ihn genau in der Mitte. Das ist der Zeitpunkt, zu dem die Druiden der Sonne ein Menschenopfer darbrachten. Sie töteten die Opfer auf dem Stein.«
    »Da drüben steht eine Rekonstruktion«, sagte Sasonow, »und eine Ansicht aus der Vogelperspektive. Für etwas so Primitives ist die ganze Anlage sehr symmetrisch.«
    »Ja, das stimmt«, antwortete Davina. »Sie bildet außerdem den genauen Mittelpunkt von England: Alle Linien von Norden, Süden, Osten und Westen treffen sich an diesem Punkt. Manche Leute glauben, das sei der Beweis dafür, daß Wesen aus dem Weltall hier gelandet sind – wie bei diesen Orten in Mittelamerika. Auf Luftaufnahmen sind ganz deutlich Linien und Muster zu erkennen, die bestimmt nicht rein zufällig entstanden sind.«
    »Erzählen Sie mir bloß nicht«, meinte Sasonow, »daß Sie an so etwas glauben.«
    »Ich weiß es nicht«, erwiderte sie. »Aber ich spüre hier irgend etwas – irgendeine Art von Energie.«
    »Das ist der Wind und der weite Raum, der einen hier umgibt«, sagte er. »Eine Illusion. Das Ganze hat keinen verborgenen Sinn, es ist nur ein primitiver Tempel. Aber es ist ungewöhnlich. Ich bin froh, daß ich es gesehen habe.«
    »Schade, daß man nicht näher herangehen kann«, meinte Davina und führte ihn zum Parkplatz zurück. »Früher, als ich häufiger hier war, gab es noch keine Absperrung. Man konnte überall hingehen; ich habe sogar auf dem Altarstein gesessen. Die Leute kamen her, um den Sonnenaufgang zu beobachten und zu erleben, wie die ersten Strahlen den Stein erhellten. Jetzt haben die Besucher nichts anderes im Sinn, als ihre Initialen in dem Stein einzuritzen.«
    Sasonow blieb stehen. »Ich hätte gerne eine Ansichtskarte«, sagte er plötzlich.
    Davina sah ihn überrascht an: »Wirklich? Ist das Ihr Ernst?«
    »Ja, ich hätte gern eine. Aber ich habe kein Geld.«
    »Ich habe genug Geld, kommen Sie mit und suchen Sie sich aus, was Sie wollen.« Sie sah ihm zu, während er sich überlegte, welche ihm am besten gefiel. Er machte einen gelösteren Eindruck als je zuvor in den ganzen fünf Monaten.
    »Diese hier«, bat er, »sie wird mich an Sie erinnern.«
    Es war ein Foto des Sonnenaufgangs, und ein leuchtender Lichtstrahl traf genau auf den Mittelpunkt des Altarsteins.
    »Sie müssen ein blutrünstiges Kind gewesen sein«, sagte er, »was haben Sie sich vorgestellt, wenn sie dort saßen?«
    »Ach, ich weiß nicht. Ich glaube, ich habe mir vorzustellen versucht, wie einem zumute sein muß, wenn irgendein angsteinflößender Druide mit gezücktem Messer über einem steht. Ich glaube, sie opferten Jungfrauen beiderlei Geschlechts. Es ist schrecklich, wenn man darüber nachdenkt.«
    »Ja, aber es war nichts Ungewöhnliches. Es entspricht dem Bedürfnis des Menschen, eine zürnende Gottheit zu versöhnen … Und wenn das Opfer einen Wert haben sollte, mußte es rein sein.«
    Sie schwieg, aber das Adjektiv kam ihr merkwürdig vor. Er betrachtete also die Jungfräulichkeit als eine Tugend. Rein … es war ein seltsam altertümliches Wort, das heutzutage fast nur noch für Konsumgüter verwendet wurde. Reine Wolle, reine Seide, reine Nährcreme … Sie hatte nicht mehr an einen reinen Menschen gedacht, seit sie erwachsen war, und die christliche Ethik war in den Bereich der Märchen verwiesen. Es war ein Hinweis, den sie sich merken mußte. Sasonow war innerlich ein Puritaner. Derartige Erkenntnisse brachten Aufklärung über seine

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