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de profundis

de profundis

Titel: de profundis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Jerofejew
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dementsprechend absolute Bläue. Antonow war in die Popdiva Alla Pugatschowa verliebt, und seine Leidenschaft nahm er heimlich über die Staatsgrenze mit. Valera Mutschkin stellte das dritte und letzte Mitglied der streng vertraulichen Delegation dar. In den Augen Mutschkins spiegelte sich Paris, kaum war die Delegation in Paris eingetroffen, wo es verdächtig köstlich aus allen Ritzen duftete, ungeachtet des Streiks der Postarbeiter und des empörenden Verhaltens der Tauben, in den Augen Mutschkins spiegelte sich Paris in jener schlichten kinematografischen Aufeinanderfolge, in der Paris an Mutschitin vorbeizog, angefangen mit dem Flughafen »Le Bourget«, über den Autobahnzubringer, den dicken Mann in Strandshorts, das Lebensmittelgeschäft »Felix Potain«, den Zeitungskiosk in der Rue de Rivoli bis hin zur Alexander-Brücke, als Antonow plötzlich Mutschkin in die Augen sah und beinahe gutmütig sagte:
    »Wissen Sie, Mutschkin, wir sind ja nicht als touristische Reisegruppe hier.«
    »Das ist mir klar«, zuckte Mutschkin zusammen und wandte den Blick gleichgültig vom Eiffelturm ab.
    »Je länger ich Paris anschaue«, fuhr Antonow fort, »desto mehr gelange ich zu der Überzeugung, dass Leningrad schöner ist.«
    »Ich habe Moskau lieber als Leningrad«, sagte Ustibasch heiser, wobei er in die trüben Wasser der Seine blickte, die von den Motorschleppkähnen verdreckt waren.
    »Und ich habe Leningrad lieber, muss ich zugeben. Dort gibt es irgendwie mehr Museen und historische Plätze, wissen Sie. Die Ermitage, das ist doch weiß der Teufel was, eine ganz unerhörte Sache.«
    In Mutschkins Augen spiegelte sich wieder Paris.
    »Mit Toilettenpapier sieht es in Leningrad schlechter aus als in Moskau«, führte Woldemar Timofejewitsch ein überraschendes Argument an. »Und überhaupt«, zuckte er mit den Schultern, »wie kann man die Hauptstadt weniger mögen als eine Stadt von regionaler Bedeutung?«
    Antonow wollte schon widersprechen, doch da wandte der französische Taxifahrer ihnen seine große rote Visage zu und ließ eine Tirade auf Französisch los. Die Delegation verstummte.
    »Was hat er gesagt?«, fragte Antonow im Flüsterton Valera Mutschkin.
    »Repetee vu ce qui vu parl«, trat Mutschkin mutig in den Dialog ein, wobei er sich bemühte, das »r« nicht auf russische Art zu rollen.
    Der Franzose dachte über Mutschkins Worte nach und brach in eine weitere Tirade aus. Vermutlich beklagte er sich über die Schwere des Lebens in Paris, die Steuer, die Inflation, die Überhandnahme des ausländischen Kapitals, das bittere Schicksal der Post- und Fernmeldebeamten, darüber, dass der Eiffelturm rostet und demnächst zusammenbricht, all das, worüber sich der einfache Pariser Taxifahrer immer beschwert, wenn sich Leute in sein Taxi setzen, denen er sich gefahrlos anvertrauen kann. Und vielleicht erzählte er, da er die Delegation für Jugoslawen hielt, von seinen Eindrücken aus dem letzten Urlaub in Dubrovnik, lobte die Adria, sprach über die Technik der Unterwasserjagd, aber vielleicht, es ist ja alles möglich, vielleicht rezitierte er auch für die ausländischen Touristen Verse von Louis Aragon. Wie dem auch sei, der Taxifahrer erwies sich als redseliger und harmloser Mensch.
    Im Hotel warfen die drei Männer einen Blick in den Arbeitsplan, machten einen Kostenvoranschlag, hielten eine flüchtige Beratung ab und verschwanden sogleich in eine unbekannte Richtung. Sie kehrten erst gegen Abend mit riesigen voll gestopften khakifarbenen Rucksäcken zurück, verschwitzt, ernst, mit verrutschten Krawatten tauchten sie wieder auf und schlossen sich ein. Wäre das Zimmer mit einer Abhöranlage ausgerüstet gewesen, so hätte diese an jenem Abend gleichmäßiges und endloses Papiergeraschel registriert, häufiges Toilettenbenutzen, wovon am späten Abend die Kanalisationsrohre ächzten, verhaltene Ausrufe und unverständliche Bemerkungen.
    Stimme Ustibaschs: »Das taugt nichts, zu parfümiert.«
    Stimme Antonows: »Valera, geh du mal, probier das hier … Und?«
    Stimme Mutschkins von weitem: »Also, ich finde es ein bisschen rau. Das andere war zarter.«
    Stimme Ustibaschs: »Ich bin auch für das zarte. Guckt mal, auch die Farbe ist schön – salatgrün.«
    Stimme Antonows: »Nehmen wir das billigste, und fertig.«
    Stimme Ustibaschs: »Solange wir nicht alle durchprobiert haben, treffe ich keine Entscheidung. Genossen, das ist eine ernste Angelegenheit. Der Konsument wird uns einen Fehler nicht durchgehen

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