de profundis
lassen.«
Stimme Mutschkins, scherzhaft: »Ich habe bei einem französischen Schriftsteller namens Rabelais gelesen, dass man am allerbesten junge Putenhühnchen benutzt.«
Stimme Ustibaschs: »Was?«
Stimme Mutschkins, scherzhaft: »Putenhühnchen, Woldemar Timofejewitsch.«
Stimme Ustibaschs: »Das ist aber unrentabel, muss ich dir sagen.«
Stimme Antonows: »Guckt mal, auf dem hier sind Dollarscheine abgedruckt, sehen aus wie echt. So eins müsste man produzieren …«
Stimme Ustibaschs, erschrocken: »Wo denkst du hin? Die Amerikaner werden ein Protestschreiben loslassen …«
Stimme Antonows, fröhlich: »Und wir werden uns mit diesem Protestschreiben …« (lacht)
Stimme Ustibaschs, sentimental: »Als ich klein war, auf dem Dorf, wisst ihr, womit wir …?«
Stimme Antonows: »Mit Kletten!«
Stimme Ustibaschs: »Daneben geraten. Mit der Lokalzeitung ›Morgenröte des Kleinbauern‹. Mein Vater wurde zum Kulakenfreund erklärt, ich habe mich dann ja auch von ihm distanziert …«
Stimme Antonows: »Woldemar Timofejewitsch, Du bist ja ein richtiger Pawel Morosow.«
Stimme Mutschkins: »Ich kann nicht mehr. Mir tut da schon alles weh …«
Mutschkin übernachtete in einem kleinen Einzelzimmer. An der Wand hing ein gelber van Gogh und über der Tür ein winziges Kruzifix. Die Obrigkeit ruhte geräumig und kollektiv in einem Doppelzimmer. Für alle Fälle hatte die Obrigkeit Mutschkin eingeschlossen und sich dann zur Fortsetzung der Besprechung auf ihr Zimmer zurückgezogen. Da die Wand zwischen den Zimmern dünn war, verwandelte sich Mutschkin unfreiwillig in eine Abhöranlage. Nur die französischen Wörter störten:
»Que-ça, qui-ce, ci-ça, ci-ci«, murmelte Mutschkin unwillkürlich.
Zunächst herrschte im Zimmer der Obrigkeit Ruhe. Nach einer gewissen Zeit jedoch erklang gedämpfter Gesang unisono: »Niemals ergibt sich dem Feind unsre stolze ›Warjag‹ …«
Das Lied wurde zu Ende gesungen, und die Stimmen gingen verschiedene Wege. Ustibasch sang für sich von der Wolga, davon, wie rasch er älter wurde, und als die Wolga ins Kaspische Meer mündete, ging Ustibasch in Rente. Lachend und weinend interpretierte Antonow unter Anrufung Alla Pugatschowas deren Schlager mit dem Titel »Harlekin«. Dann forderte sich die Obrigkeit wie üblich lautstark gegenseitig zur Ruhe auf, mehrmals begann man erneut über die Vorzüge von Moskau und Leningrad zu diskutieren, doch die Diskussion wurde immer wieder vom Durchzug ausgepustet, was offenbar beiden nicht passte, und dann hörte man Gepolter, Schnaufen, Ächzen, und Stühle fielen um.
»Que-ci, que-ce«, seufzte Mutschkin.
»Uff! Das Leben ist ein Kampf!«, rief Ustibasch triumphierend.
Stille. Geraschel. Plötzlich krachte wieder irgendein Gegenstand zu Boden, und nun sagte Antonow triumphierend und belehrend:
»Timofejitsch, du musst berücksichtigen: Leningrad ist nicht bloß einfach ein regionales Zentrum, sondern auch die Wiege der Revolution.«
»Und was hat Gagarin darauf gesagt?«, krächzte Ustibasch. »He, drück mir nicht die Luft ab, hörst du! Gagarin hat darauf gesagt, dass man nicht ewig in einer Wiege leben kann!«
»Kann man doch«, widersprach Antonow, und Ustibaschs Kopf schlug gleichmäßig auf den Boden. »Kann man doch. Und wie man das kann.«
Mutschkin stieg aus dem Bett und öffnete das Fenster. Es tröpfelte. Im Hof unten standen Autos, und die nächtlichen Blumen dufteten. Durch das schwarze Balkongeländer am Haus gegenüber sah man eine Frau im Nachthemd. Sie saß in einem Sessel und weinte.
Eine Französin und weint …, dachte Mutschkin verblüfft. Auch er wollte weinen. Dann stellte er sich vor, in ihrem Zimmer zu sein. Er steht auf der Schwelle mit einem Strauß nächtlicher Blumen. Erzählt von Moskau, vom Fernsehturm in Ostankino, und da schlüpft ihm ein ungelenkes Wort der Liebe von den Lippen:
»Je vous aime.«
»Dann sind Sie Russe?«, fragt die Französin traurig.
»Ja«, antwortet Mutschkin. »Ich wohne in der Kaljajewskaja. Direkt im Zentrum.«
»In der Kaljajewskaja …« Die Französin schüttelt den Kopf. »Nein. Mit Russen dürfen wir nicht.«
»Wir können ja das Licht ausmachen und einfach im Dunkeln ein bisschen zusammensitzen«, versucht Mutschkin sie zu überreden.
»Geh weg!«, schreit die Französin. »Ich habe Angst vor dir. Du bist ein Wilder!«
Mutschkin lächelte und gähnte süß. Es ist angenehm, wissen Sie, vor dem Einschlafen ein wenig eine Französin zu erschrecken.
Im
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