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de profundis

de profundis

Titel: de profundis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Jerofejew
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einen Franzosen namens Maikäfer — mich kann kaum noch was erschüttern. Der Terroranschlag versprach ein Kunstwerk zu werden. Wenn ein Künstler den Platz seines Kunstwerks einnimmt, wenn er an dessen Stelle tritt, dann muss man dabei sein. Und als Sumpf fragte: »Kommst du mit?«, antwortete ich »nein«. »Du kommst mit!«, sagte Sumpf, und ich sagte »ja«. Vielleicht bin ich willensschwach, aber durchaus nicht charakterschwach.
    Sumpf hatte mich ausgesucht, jemanden aus den Klatschspalten, denn er war ein so genannter »Newsmaker«, seitdem er folgenden, für jene Zeit starken Zweizeiler geschrieben hatte:
    »Popenpopos sind oft putzig:
    Der eine groß, der andre schmutzig.«
    Sumpf war noch nicht ganz in all dem Rosa aufgegangen, da waren die rosa Knöspchen auch schon verblüht, und heutzutage kräht kein Hahn mehr danach. Besonders aus der Mode kamen die »schmutzigen« Popos, denn wie lange kann man schon diese Art Revolte kultivieren? Der ewige Dreck hing einem zum Hals raus. Aber ich mag diese Verse trotzdem, und alle mögen sie oder beneiden den Verfasser.
    Es war einfach eine andere Zeit angebrochen, die Zeit zu handeln.
    »Da sind Pantoffeln«, sagte Iwan Grigorjewitsch. »Guten Tag.« Er betrachtete uns eingehend, und wir betrachteten ihn eingehend.
    Sumpf hatte sich die Haare blond gefärbt und ähnelte einem fetten Ukrainer. Auch ich hatte Gründe für eine Maskerade. Ich hatte mir einen grässlichen Schnurrbart angeklebt und eine dunkle Ray-Ban-Brille aufgesetzt. Iwan Grigorjewitsch hatte mich vor kurzem öffentlich als mickriges Ungeziefer im Dienste der Unzucht bezeichnet.
    Sumpf hielt Scheinwerfer und Stativ in den Händen, ich eine vorsintflutliche Videokamera, die entfernte Ähnlichkeit mit einer Profikamera hatte.
    Ich drückte meinem alten Feind die Hand. Für mich war er eine Legende. Schon als Schuljunge hatte es mich beim Lesen seiner Bücher gebeutelt und geschüttelt. Und meine Mutter selig, eine Zeichenlehrerin, die niemals Bücher zerrissen hatte, las darin und riss Seite um Seite heraus, zerriss sie und warf sie weg, mit den Tränen oppositioneller Ohnmacht. Bei genauerem Hinsehen stellte sich das Feindbild so dar:
    anal stabil,
    rote, verquollene Augen,
    warme, den Gestank über Jahre sorgfältig konservierende Hauspantoffeln,
    träge durch die frostigen Lüfte fliegend, einen Kondensstreifen zurücklassend,
    koller, koller,
    harnspritzender Panther,
    erkaltete abblätternde Haut.
    Offenbar sonderte er nachts kalten Schweiß ab. Er lag auf dem Durchschlag wie längst abgetropfte dicke Nudeln.
    »Ich habe mich gerade gefragt, Iwan Grigorjewitsch, ob wir die Schuhe ausziehen sollen«, sagte Sumpf mit der süßlichen Stimme des Fernsehredakteurs.
    »Seit einiger Zeit«, sagte Iwan Grigorjewitsch, »kann ich fremde Gedanken lesen. Sogar auf die Entfernung.«
    »Mein Gott!«, rief der schlagfertige Sumpf. »Sollten Sie wirklich gleich erraten haben, dass wir gekommen sind, um Sie auszurauben und umzubringen?«
    »Ob Sie mich ausrauben wollen oder nicht«, brachte Iwan Grigorjewitsch Klarheit in die Situation, »jedenfalls traue ich euch Fernsehfritzen nicht über den Weg.«
    Wir betraten das wichtigste Zimmer des Feindes. Der Feind lebte in rosa Tapeten. Auf der Anrichte stand ein Panzer.
    »Dies ist mein Lebenswerk«, sagte Iwan Grigorjewitsch schlicht, wobei er auf die Autorenexemplare zeigte, die er uns zu Ehren ausgebreitet hatte. In einiger Entfernung vom Panzer drehte sich, das Bein angehoben, eine Ballerina. Eins der Bücher – das bekannteste — lag da als winzige Fotokopie.
    »Sie sind im Samisdat erschienen«, bemerkte Sumpf spitzbübisch.
    »Das haben die Leser gemacht. Was blieb ihnen denn anderes übrig, als der Roman aus den Bibliotheken entfernt wurde?«
    »Dann sind Sie also Dissident!«, spottete Sumpf kriecherisch.
    »Vielleicht«, sagte der Hausherr, die Augen niederschlagend. »Nur mit umgekehrtem Vorzeichen.«
    Eine Büste von Iwan Grigorjewitsch selbst mit schneidigem Gesicht von schwarzmetallischer Farbe stand auf dem Fensterbrett. Wir begannen unsere Apparaturen aufzustellen.
    »Jetzt müssen wir Sie ein wenig schminken«, sagte Sumpf und zog eine Schachtel mit Schminke hervor.
    »Wozu Lippenstift?«, regte sich Iwan Grigorjewitsch auf. »Ich bin doch ein Mann.«
    »Sonst haben Sie da ein Loch und keinen Mund«, erklärte Sumpf streng.
    »Von welcher Fernsehgesellschaft sind Sie eigentlich?«, fragte plötzlich der geschminkte Feind misstrauisch. »Nachher

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