de profundis
dass die kindlichen Toten nichts anderes als Schaufensterpuppen waren, bemerkenswert gearbeitet, überhaupt nicht zu vergleichen mit denjenigen, die man gewöhnlich in Geschäften für Kinderkleidung sieht. Neben echten Kindern würden sie etwa so wirken wie außerordentlich gut gemachte künstliche Blumen neben echten.
Es waren Engelchen im süßen Nachmittagsschlummer, eingeschlafen nach einem Spaziergang und einem guten Mittagessen mit einem besonders leckeren Nachtisch. Ungeachtet der Tatsache, dass es in unserer Stadt niemals einheimische Schwarze gegeben hat, war eines der Verstorbenen ein gelocktes Negerkind mit auffallend glänzenden Lippen (als wäre eben erst seine Zunge darüber gefahren), mit weit geöffneten Nasenlöchern und pechschwarzen Wimpern an den geschlossenen Lidern. Es erinnerte an das Negerkind aus einem lustigen Kindertheaterstück, und alles war so dick aufgetragen und präsentiert, wie sich eben die Weißen schwarze Schönheit vorstellen.
In dem anderen Sarg schlief eine kleine blonde Fee mit schwarzer Schleife im Haar, Stupsnase, roten Bäckchen und ebenfalls langen Puppenwimpern. Die Engelchen lagen da, zugedeckt mit weißen Laken oder, besser gesagt, Leichentüchern, aber es war zu sehen, dass das Mädchen ein kokettes, wenn auch den Hals bis oben hin verdeckendes weißes Kleidchen trug und der Negerjunge ein Samtjäckchen und statt einer Krawatte ein Samtbändchen.
Trotz ihres blühenden Aussehens war aufgrund irgendwelcher undefinierbarer Anzeichen klar, dass das hier eben nicht der Schlaf, sondern etwas Kapitaleres war, etwas, das niemals mehr in Wirklichkeit zurückzuverwandeln war. Diese kleinen in ihren Särgen liegenden Puppen warben, wie mir schien, weniger für Beerdigungsausstattungen, sondern eher für das Wesen des Todes selbst. Sogar mehr als das. In dem elegant gestalteten Schaufenster fand ich eine gewisse Todespropaganda, nicht im Sinne einer Existenz der Seele über das Grab hinaus, sondern einer himmelschreiend fleischlichen Existenz innerhalb des Grabes, wenn man sich so ausdrücken darf.
Das Schild an der Fassade war indes unleserlich. Ein Teil der Buchstaben in einer längst aus der Mode gekommenen Schrift war abgebrochen; erhalten geblieben waren lediglich die drei letzten Buchstaben, die man als UNG entziffern konnte. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatten die Räumlichkeiten, bevor hier diese Einrichtung mit enger Spezialisierung einzog, ein Geschäft für (Kinder-)Kleidung beherbergt. Es gibt natürlich noch andere Wörter auf UNG, etwa Hoffnung, Erregung, Abneigung, aber sie eignen sich wohl nicht für ein Ladenschild.
Der Eingang befand sich nicht an der Vorderfront, sondern an der rechten Seite, weiter entfernt vom Feuerwehrturm. Die Tür, die ins Geschäft führte, war mit dunkelbraunem gestepptem Kunstleder bezogen. Daran klebten verschiedene Ausschnitte aus Zeitungen und Zeitschriften, wie ein Fächer um den Spion herum angeordnet, unter oder über dem (das weiß ich irgendwie nicht mehr genau) die deutliche Aufschrift prangte: GUCK MAL.
Das war eine gegen mich persönlich gerichtete Provokation.
Von Natur aus bin ich ein neugieriger Mensch, ja zugegebenermaßen sogar ein Voyeur. Dies ist überhaupt ein Charaktermerkmal der schöpferischen Persönlichkeit. Voyeurismus ist mehr als eine Leidenschaft, das ist, kann man sagen, eine Berufung. Aber hier erstarrte ich und wagte nicht, mich zu nähern. Hinter der Tür kreischte eine Kreissäge auf. Das Übrige ließ sich vermuten. Da ging die Arbeit offenbar gut voran. Die kleinen Toten wurden herausgeputzt und geschminkt.
Verstohlen blickte ich mich um. Die Leute interessierten sich nicht besonders für das Schaufenster und die Tür mit der Aufschrift GUCK MAL. Ihre Blicke schweiften bisweilen über den von goldfarbenem Licht durchfluteten Raum jenseits der Scheibe, der, so dachte ich plötzlich, an die Schaufenster ausländischer Fluggesellschaften mit ihren teils transparenten Boeing-Modellen erinnerte. Aber die Blicke verweilten nicht, als sei das Schaufenster schon allzu bekannt oder eher nicht von Interesse.
Da ich mich nicht überwinden konnte, durch den Spion zu schauen, mich indes von meinem Kleinmut nicht irritieren ließ, marschierte ich zur Straßenbahnhaltestelle. Ein ungutes Gefühl legte sich mir auf die Seele. Immer mehr Leute versammelten sich.
Deprimiert, wie ich war, bemerkte ich nicht, dass mir eine mondgesichtige Frau mit zerzausten Haaren entgegenkam, deren Gesicht, unberührt von
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