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de profundis

de profundis

Titel: de profundis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Jerofejew
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Stadtkomitees, über denen rote Fahnen mit den typischen chinesischen Sternen flattern. Über der Stadt thront ein rot-weißer Palast von so irrsinnigen Ausmaßen, dass der Moskauer Kreml im Vergleich dazu wie ein Hühnerstall wirkt. Wir kletterten den Berg hinauf.
    »Heb das Hemd hoch, zeig her«, sagte Momo, mir schamlos in die Augen blickend. »Du kannst hier pinkeln, später gibt es keine Gelegenheit mehr.«
    »Bist du nun Fremdenführerin oder nicht?«, wunderte ich mich. »Erzähl was über den Palast.«
    »Mist, verdammter, irgendwie gefällt mir das alles ganz und gar nicht«, sagte Momo, meinen Bauch befühlend. »Blausucht. Tut das weh?«
    »Fuck you!«, schrie ich auf.
    »Im nächsten Leben wirst du ein hungriger Geist sein«, sagte sie. »Wenn du nicht lernst zu dulden.«
    Mein ganzer Bauch war von der Flamme des Todes erfasst.
    »Schweden! Schweden!«, schrie Momo. »Wo wollt ihr denn hin?«
    Die weißblonden Homosexuellen blieben befremdet stehen.
    »Warten Sie hier auf uns«, sagte Momo zu ihrer Gruppe außer zu mir. Entschlossen ergriff sie meine Hand. »Rikscha! Rikscha! Hast du zehn Yuan?«
    Ich kramte zehn mit Scheiße beschmierte Yuan aus der Tasche. Ein fünfzehnjähriger Junge karrte uns durch die Straßen von Lhasa. Angesichts seiner Kraftanstrengung bekam ich selbst Herzklopfen, das ich kaum besänftigen konnte.
    »Ist das nicht der beste Beweis dafür, dass ich in den Gully gefallen bin?«, fragte ich Momo giftig, wobei ich ihr den stinkenden Geldschein unter die Nase hielt.
    »Wir machen jetzt zwei Sachen«, sagte Momo, ohne dem Geldschein Beachtung zu schenken. »Eine für den Fall deines Todes, die andere für alle Fälle.«
    »Ich weiß, wo du Russisch gelernt hast.« Ich erinnerte mich dunkel. »In der Military School von Monterey in Kalifornien. Eine gute Schule. Sagt dir der Name Banina etwas?«
    Momo lief puterrot an.
    »Ich bin dir letztes Jahr in Berkeley begegnet. Du warst sechs Jahre alt. Die Banina hat dich in Indien adoptiert. Ich war bei ihnen zu Hause zum Abendessen. Du bist nach draußen gelaufen, in eine weiße Decke gehüllt. Du hast sie abgeworfen und hast dagestanden in einem kurzen Seidenhemdchen. Deine ländliche Fotze war auf ihre Art ausdrucksvoll. Die Banina sagte: ›Momo, du hättest dir wenigstens ein Höschen anziehen können vor dem Onkel!‹ Und ich sagte: ›Schon gut. Sie wird noch ihr ganzes Leben lang Höschen tragen. Bloß kein Stress.‹«
    Momo ließ die Rikscha auf dem Marktplatz halten. Wolken von Straßenhändlern und Bettlern stürzten sich auf uns.
    »Hast du gesagt, ich war letztes Jahr in Kalifornien sechs Jahre alt?«, fragte Momo.
    »Die Zeit vergeht«, sagte ich. »Warst du das etwa nicht, die ihrem amerikanischen Stiefvater die Socken ausgezogen und sich als Busen unters Hemd gestopft hat? Weißt du noch, was dein Stiefvater gesagt hat? Nicht doch, Momo, meine Socken riechen. Und was hast du dann gemacht? Du hast dir eine Socke in den Mund gestopft. Und dann die andere. Und du bist nicht daran erstickt.«
    Ich sprang auf den Boden. Der Schmerz in meinem Bauchnabel ging mir durch und durch. Das war das Ende: Mein Bauch war knallhart bis zum Gehtnichtmehr. Wir schoben uns durch die Menge, gegen einen Strom langohriger Hochgebirgsmenschen mit ihrem schweren Yakbuttergeruch. Sich gegenseitig an den Kleidern zerrend, einander um die Bäuche fassend, marschierten die Tibeter glöckchenklingelnd in den Tempel. Kleine Mönche bliesen in lange Trompeten, die vor ihnen auf dem Boden lagen. Der Trompetenklang war heiser und durchdringend. Wir kämpften gegen den Strom an. Vom Gestank der Viehzüchter blieb mir die Luft weg. Momo drückte mir die Finger auf die Augen und schleppte mich die Stufen des Tausendzimmerungeheuers hinauf, das wie irre über der Hauptstadt der kalten Winde, flachen Bastmatten und kleinen Kopfkissen kreiselte.
    Ein glatzköpfiger kirschroter Mann mit gelbem Schal umarmte mich und warf mich auf den Boden vor die mit einem Blaustift gezeichneten Züge eines lächelnden Gesichts. »Du ganz allein«, flüsterte Momo, meine Turnschuhe aufschnürend. »Du ganz allein«, murmelte sie schwitzend. Lange Speichelfäden hingen unter ihrem Mund. Sie knöpften mein Hemd auf.
    »Da ist ein Parasit«, sagte der Glatzkopf auf Tibetisch.
    »Ot ayu sbosara bakara rosbauro bum phat«, sagte Momo. »Wiederhol das hundertmal.«
    »Leicht gesagt«, erwiderte ich. Der Glatzkopf fuhr mir schnell in die Hosentaschen, tastete meine Hüften ab und berührte

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