Dead: Band 1 - Roman (German Edition)
immer bedauert er jeden, den er umbringt.
Der einzige Mensch, den er gern getötet hätte, war der erste Infizierte, der aus der dunklen Gasse hinter seinem Haus auf ihn zurannte. Wenn er nachts einzuschlafen versucht, springt die hassverzerrte Fratze ständig aus dem Dunkel hervor und überflutet seinen Kreislauf mit Adrenalin. Er hat ein Dutzend Infizierte getötet und vielleicht doppelt so viele verwundet, doch dieser Mann jagt ihm noch immer Entsetzen ein. Dieser Mann ist mehr als eine Erinnerung. Er ist ein Symbol der Seuche, des Hasses und der Furcht, die sie seinem Leben aufgebürdet hat. Könnte Paul in die Vergangenheit reisen, würde er den Mann mit bloßen Händen angreifen und umbringen.
Er seufzt und fragt sich, was Sara, würde sie noch leben, wohl von dem neuen Paul halten würde. Es tröstet ihn, dass sie ihn geliebt hat und sich wünschte, dass er um jeden Preis überleben würde. Sie hätte zu ihm gesagt, er solle das Ding in der Gasse töten. Sie hätte gesagt: Du bist mein Mann, und ich liebe dich mehr als mich selbst. Sie hätte gesagt: Überlebe, Schatz. Sie hätte gesagt: Bring sie alle um.
Er kann sich nicht erinnern, was aus ihr geworden ist. Er erinnert sich an ein grässliches Gemetzel vor der Kirche und an den Mob und die Schlacht gegen die Infizierten. Dann hat er sich plötzlich in einer Ecke wiedergefunden, in einem von der Regierung gebauten Schutzraum. An etwas anderes kann er sich nicht erinnern. Aber er möchte wissen, was passiert ist. Sara ist infiziert: Wissen ändert nichts an ihrem Schicksal. Aber er möchte es trotzdem gern wissen. Oder besser gesagt, er möchte sich gern daran erinnern können.
Der Himmel ist voller fliegender Wolken, die den Mond verhüllen. Einige Minuten lang ist es so dunkel, dass man sich leicht vorstellen kann, in einem Raumschiff zu sein, das vom Kurs abgekommen durch das Nichts jagt. Langsam passen sich seine Augen der Nacht an, bis er die Einzelheiten der Stadtlandschaft ausmachen kann. Er hört gedämpftes Gewehrfeuer und Schreie, die von einer kühlen Brise herangetragen werden. Er sieht die Scheinwerfer eines kleinen Fahrzeugkonvois, der nach Westen fährt. Ein hellroter Strich taucht wie ein glühender Schnitt im Nordosten aus der Finsternis auf.
Er sieht, dass der Strich länger wird und wie ein roter Krummsäbel leuchtet. Feuer. Ein Großbrand am südlichen Flussufer. Er kann den Rauch schon riechen. Rings um die sich ausbreitenden Flammen: Schüsse und Schreie. Im Kampf sind Menschen und Infizierte gleich. Paul schüttelt sich. Wenn das Feuer weiter brennt, wird es heute Nacht ein Blutbad geben, da Tausende aus ihren Verstecken getrieben werden – auf die Straßen hinaus, die von Infizierten wimmeln. Viele werden in diese Richtung kommen. Es gibt nicht viele Richtungen, in die man flüchten kann.
Schon jetzt kann er am Rand des Parkplatzes hinter dem Krankenhaus graue Gestalten sehen, die sich im Dunkeln bewegen und sich wie zuckende Maden aneinanderreiben.
Vor Ethans Augen dreht sich alles. Es liegt am Wein. Er kann nicht mehr klar denken. Er hebt das Handy hoch, sein Herz pocht plötzlich laut in seinen Ohren, und schaltet es ein. Das Display informiert ihn, dass kein Netz in Reichweite ist. Schon wieder ein Hinweis darauf, dass das ganze Stromnetz im Eimer ist. Mobiltelefongesellschaften nutzen Funkbasisstationen und Netze, um Anrufe, Texte und Verbindungen ins Festnetz zu ermöglichen. All diese Systeme brauchen Strom. Doch es gibt keinen Strom. Die Menschen, die Kraftwerke betreiben, sie mit Brennstoff versorgen und das Stromnetz aufrecht halten, sind entweder tot, infiziert oder halten sich versteckt. Jetzt bekommt er wirklich üble Kopfschmerzen.
Im letzten Urlaub mit der Familie haben sie sich einer Gruppe zugesellt, die frisch geschlüpften Schildkröten geholfen hat, den Weg zum Meer zu finden. Weibliche Schildkröten kommen aus dem Meer, um ein Loch zu graben, in das sie bis zu zweihundert Eier ablegen. Dann füllen sie es mit Sand wie seit Millionen von Jahren. Nachdem die Schildkröten geschlüpft sind, führt der Instinkt sie ans Meer. Wenn sie aus dem Sand kriechen, werden sie von Raubtieren gefressen, die schon auf der Lauer liegen. Die meisten Schildkröten sterben. Nur wenige überleben. Nur eine von tausend überlebt die Reise. Es ist herzerweichend, ihnen zuzuschauen, aber es geht dabei nicht um Moral oder tieferen Sinn. Es gibt nicht mal die Garantie, dass nur eine es schafft. Bei der natürlichen Selektion gibt
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