DEAD SEA - Meer der Angst (German Edition)
»Schau mal«, sagte er. »Siehst du das?«
Es war, als hätte jemand in der Ferne eine große weiße Plane aufgehängt. Sie wurde von Sekunde zu Sekunde größer, löschte alles aus und fraß die Dunkelheit und die See Meter um Meter.
»Eine Nebelbank«, sagte Cushing unsicher.
So etwas hatte George noch nie gesehen. Eine riesige wogende Decke aus gelblich weißem Nebel, der funkelte und leuchtete. Ein atemberaubender Anblick. Innerhalb einer Minute sah man nichts anderes mehr. Als hätte sich der Himmel samt allen Wolken auf die Erde herabgesenkt und unterwegs alles verschluckt.
»Das ist ein Anblick, was?«
George und Cushing drehten sich um. Gosling stand hinter ihnen, die Arme verschränkt, die Pfeife zwischen den Lippen. Er wirkte ungewöhnlich angespannt.
»Haben Sie schon mal so eine Nebelbank gesehen?«, wollte George wissen.
»Sicher, schon oft. Die gibt es hier draußen häufiger.«
Warum nur hatte George das beunruhigende Gefühl, dass er belogen wurde?
»Werden Sie ihr ausweichen?«, fragte Cushing.
»Wie denn?«
Und sie sahen, was er meinte. Der Nebel war überall, näherte sich offenbar aus allen Richtungen zugleich. Um ihm auszuweichen, hätten sie wenden müssen, aber bei dieser Geschwindigkeit konnten sie ihm niemals entkommen.
»Leuchten die immer so?«, wunderte sich George. »Diese Nebelbänke?«
Gosling lächelte vage. »Sicher.« Er klopfte seine Pfeife an der Reling aus.
»In einer Viertelstunde werden wir hier eine dicke Erbsensuppe haben, Leute. Sehen Sie lieber zu, dass Sie unter Deck kommen.«
Sie gingen und Gosling blieb. Er verspürte einen seltsamen Zwang, auf den Nebel zu warten und sich ihm zu stellen.
Zitternd blieb er stehen.
10
George konnte nicht schlafen.
Er lag in seiner Koje und spürte das sanfte Wummern des Schiffs unter sich. Es bedeutete ihm im Grunde nichts, aber nach einer Weile schien sich der Körper an alles zu gewöhnen. Der Verstand war das eigentliche Problem. Eine gewisse Paranoia hatte ihn erfasst. Vorher hatte er lediglich ein ungutes Gefühl verspürt – wie die Besorgnis, die einen überkam, wenn man einen Termin beim Zahnarzt hatte oder die Steuererklärung machen musste. Ein normales Gefühl.
Aber diese Paranoia, die war anders.
Er wusste, dass es nichts mit Saks’ Dschungelgeschichten zu tun hatte. Mit solchen Sachen musste man im Busch wohl rechnen.
Nein, etwas anderes.
Ein schwarzes, unerbittliches Grauen, das an seinen Nerven nagte wie eine Katze an einer Maus. Und es ließ ihn nicht los. Jedes Mal, wenn ihm die Augen zufielen, riss er sie gleich wieder erschrocken auf und schnappte keuchend nach Luft, als wollte man ihn ersticken. Ein brütendes Gefühl der Vorahnung.
Die beinahe unumstößliche Sicherheit, dass bald etwas Furchtbares geschah.
Schweres Wetter voraus.
Also lag George da, erwartete das Schlimmste und fragte sich, welche Gestalt es wohl annahm und wann es eintrat. Er fragte sich, ob er wohl verrückt wurde, wusste aber instinktiv, dass das noch das Geringste seiner Probleme sein dürfte. Jeden Moment mussten sie in diesen Nebel hineinfahren, wahrscheinlich befanden sie sich längst mittendrin. Sosehr er es auch wollte, er wurde den Eindruck nicht los, dass Gosling wegen dieser Nebelbank vor ihnen verdammt nervös gewesen war. George wusste nicht viel über Nebel und erst recht nicht über Nebel auf See – aber dieser hier kam ihm definitiv ungewöhnlich vor. Und er glaubte keine Sekunde daran, dass ein Nebel so leuchten sollte.
Er war nicht natürlich.
Was hatte Lisa im Hafen gesagt?
Nimm dich vor den Krokodilen in Acht, George. Und pass auf dich auf, wenn du auf dem Meer bist – komische Dinge geschehen auf See. Mein Dad ist Seemann gewesen, und er hat das immer gesagt: Komische Dinge geschehen auf See.
George zitterte.
Gott, wie prophetisch ihm diese Worte mit einem Mal vorkamen.
11
Cushing lag länger wach als die anderen.
Lange nachdem Fabrini und Menhaus ihr Unbehagen abgeschüttelt hatten und eingenickt waren, nachdem George endlich den Träumen nachgegeben und auch Saks und Soltz ins Bett gegangen waren, konnte er immer noch nicht schlafen. Lag wach und ruhelos da.
Er war anders als die anderen. Aber nicht, weil er irgendwelche elitären Anwandlungen hatte und sich für etwas Besseres hielt, nur weil er gebildet war und die anderen nicht. Denn besser kam er sich nicht vor, nur anders. Kein Walzenfahrer oder Bulldozer-Jockey, sondern angeblich als Verwaltungsangestellter mit dabei, als
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