DEAD SEA - Meer der Angst (German Edition)
protestierte laut, als er sie nach innen aufschob. Das Geräusch klang so scharf und krächzend wie Nägel, die man aus einem Sargdeckel zog. Cook lief es kalt den Rücken herunter. Es klang, als würde die Tür verzweifelt schreien. Im Licht der Lampe schwammen Staub und Schmutzpartikel durch die Luft wie aufgewühlte Sedimente in den Eingeweiden eines versunkenen Schiffs. Alles schmutzig und zerfallen, so wie man es in einem ägyptischen Grabmal erwartete. Das Bullauge so dick mit Schmutz bedeckt, dass es fast pelzig aussah.
Aber was Cook im Türrahmen innehalten ließ, war der Geruch dort drinnen. Er konnte ihn nicht sofort mit etwas Bekanntem in Verbindung bringen. Auf jeden Fall der penetrante, trockene Geruch nach Alter und Verwesung und Rost, aber noch etwas, was darüber hinausging. Eine unerklärliche Note, die ihn an Ozon erinnerte, ein scharfer, satter, fast chemischer Geruch, vermischt mit noch älterer Fäulnis.
Cook wusste sofort, dass dieser Geruch Ärger bedeutete.
»Wenn du da nicht reingehen willst, ist es okay«, sagte Saks. Wahrscheinlich roch er es auch, oder er spürte es genau wie Cook tief in seinem Inneren.
Aber Cook schüttelte den Kopf. Er rechnete mit einem hämischen Kommentar von Saks – darüber, dass er Angst vor der Dunkelheit hatte oder sich bestimmt gleich in die Hose machte –, doch es kam nichts. Saks’ Augen waren groß und leuchtend, fast schon schreckgeweitet. Sein linker Mundwinkel zuckte. Als sie den Raum betraten, setzte Saks mehrmals an, etwas zu sagen, schloss aber jedes Mal wieder den Mund. Eine fast kindliche Unsicherheit schien ihn hier zu befallen. Er bewegte sich in eine Richtung, hielt an, kehrte wieder um, dann das Gleiche noch einmal, um erneut einen zögernden Schritt zurückzuweichen. Und da wusste Cook, dass es auch Saks in den Knochen steckte. Dass Saks, genau wie er selbst, hier nicht zu sich finden konnte, seinen Platz in dieser Welt nicht fand. Dieser Ort besaß eine starke negative psychische Aufladung, die alles verdorren ließ und den Geist mit flüsternden, ausgreifenden Schatten erfüllte. Es fühlte sich an wie das Ende der Welt ... oder darüber hinaus. Wie eine zitternde Schwärze, die einen ins Nichts saugen wollte.
»Scheiße, hier gefällt’s mir aber gar nicht«, meinte Saks.
Cook gefiel es auch nicht. Ein Grauen, nur vage und halb existent, kribbelte im Nacken. Dieser Raum schien ihn auszusaugen. Er fühlte, wie sich in seinem Inneren so etwas wie ein wilder, hysterischer Schrei aufbaute.
»Zeig’s mir!« Mehr brachte er nicht heraus.
Saks führte ihn zu einem Schreibtisch in der Ecke. Der Staub auf der Tischplatte war aufgewühlt, vielleicht von Saks’ früherem Besuch. Das Metall der Kabinenwände wies Löcher wie große Geschwüre auf. Man konnte durch sie in die Kabine nebenan schauen. In der gegenüberliegenden Ecke, zwischen Unrat und dickem Staub, lag etwas, das an Seifenflocken erinnerte. Als hätte dort jemand einen Fisch abgeschuppt, einen großen Fisch – aber schon vor vielen Jahren, denn die Schuppen wirkten schrumpelig und braun wie Herbstlaub.
Cook wollte lieber nicht darüber spekulieren, womit sie es zu tun hatten.
Saks zog eine Schublade auf und nahm ein altes ledergebundenes und mit einer Schnalle verschlossenes Buch heraus, anscheinend ein Tagebuch.
»Lies, was da drin steht«, sagte er.
Das war es also. Noch ein verdammtes Buch, noch ein Bekenntnis von Albträumen. Mit zitternden Händen blätterte Cook es durch. Zunächst zehn leere Seiten. Dann füllten sie sich allmählich mit abgehackten Absätzen, schnell hingekritzelten Belanglosigkeiten in der geschwungenen Schrift einer Frau. Ihr Name lautete Lydia Stoddard. Zusammen mit ihrem Mann Robert und fünf weiteren Personen hatte sie sich an Bord des 20 Meter langen Zweimastschoners Home Sweet Home begeben. Offenbar waren sie im Januar 1955 auf dem Weg von den Bermudas nach Antigua vom Nebel überrascht worden.
Ein Eintrag nach dem anderen berichtete davon, wie die Home Sweet Home sich in dieser windstillen nebelverhangenen See abmühte; wie nach und nach die Besatzungsmitglieder verschwanden, bis nur noch sie und ihr Mann übrig blieben. Die Einträge wurden unordentlicher und unverständlicher, die Schrift ließ sich kaum noch entziffern. Cook konnte ihnen nur entnehmen, dass sie die Home Sweet Home aus irgendeinem Grund hatten verlassen müssen. Dass Lydia und Robert sich in eine Jolle flüchteten und tagelang umhertrieben, bis sie auf die Cyclops
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