DEAD SEA - Meer der Angst (German Edition)
nicht schreiben. Nichts davon.
Robert ist tot, tot, tot. Ich darf nicht vergessen, dass er tot ist und dass die Toten nicht reden.
Nicht wie ich.
Nicht wie ich.
Nicht wie ich.
10.(?) Februar
Ja, ich habe die ganze Zeit Angst.
Wie lange kann man Angst haben, bevor man aufhört, Angst zu haben?
Nur noch ein bisschen schimmeliges Brot ist übrig. Ich werde auch den Schimmel essen. Ja, das werde ich. Seht, wie ich den Schimmel esse. Er ist grün und schmeckt hefig. Er dreht mir den Magen um.
Ich habe eine Ratte getötet.
Sie war köstlich.
11.(?) Februar
Ich habe keine Angst vor der Frau.
Sie sagt, sie will meine Freundin sein.
Letzte Nacht oder heute oder auch letzte Woche habe ich sie im Korridor summen gehört. Ihr unaufhörliches irres Summen. Ich nahm das Messer mit. Mein Messer und eine Kerze. Ich werde das Summen zum Schweigen bringen oder es mich.
Ich habe sie gesehen.
Eine missgestaltete, zwergenhafte Kreatur in Lumpen. Ihr Gesicht ist weiß wie das einer Leiche. Ihre Augen sind gelb. Sie hat in einer dunklen Kabine auf mich gewartet. Ich wollte sie töten. Sie sprach nicht mit mir. Sie hat nur gesummt. Sie hat eine Puppe. Ich habe sie gesehen. Eine kleine Marionette an Fäden, sie hat sie für mich tanzen lassen. Oh Gott, Allmächtiger, es ist keine Marionette – es ist ein mumifiziertes Kind. Es hat auch gelbe Augen. Es lächelte mich an und begann zu sabbern. Es war in ein schmutziges Tuch gewickelt, und ich konnte sehen, wie sich etwas darunter bewegte. Das Marionettenkind hat zu viele Beine.
Ich habe mich in meiner Kabine eingeschlossen.
Etwas frisst Roberts Leiche an. Ratten. Sie müssen hereingekommen sein, als ich unterwegs gewesen bin. Sie sind gekommen und haben ihn angenagt.
Schrecklich.
15.(?) Februar
Die Frau ist nicht meine Freundin.
Sie ist entsetzlich.
Sie summt jetzt nicht mehr. Sie sitzt vor der Kabine und pfeift. Das Pfeifen ist melodiös, aber unheimlich. Am liebsten pfeift sie, wenn ich esse. Das Pfeifen bringt mich dazu, Sachen zu denken und zu tun, an die ich mich später nicht mehr erinnern kann.
Warum quält sie mich?
Was will sie?
Warum kratzt sie andauernd an meiner Tür? Fummelt am Riegel herum.
Ich werde sie nicht hereinlassen.
Sie will mein Essen, aber ich werde ihr nichts abgeben.
Sie und dieses Puppenkind haben Hunger.
Sollen sie Ratten essen.
Robert sagt, wir teilen unser Essen nicht.
Es ist geheim, unser Essen. Unser geheimes Essen.
Sollen sie doch Hunger haben.
Hunger.
Hunger.
Hunger.
Cook hörte auf zu lesen.
Es war schrecklich – wie der Blick durch ein dreckiges Fenster in ein Irrenhaus, ein Rundgang durch den zerrütteten Geist einer Frau. Nervenaufreibend. Einiges hatte sie nicht aufgeschrieben. Grässliche Sachen.
»Warum soll ich das lesen?«, fragte er Saks.
»Du wirst schon sehen. Lies weiter.«
»Das bringt doch nichts.«
»Doch, doch. Du wirst es verstehen, wenn du es durchhast.« Saks’ Augen wirkten riesig, sein Gesicht zu einer Grimasse verzerrt. »Es gefällt dir nicht, oder? Gut, mir auch nicht. Kannst du dir vorstellen, wie es für mich gewesen ist? Hier unten ... ganz allein ... dieses irre Zeug zu lesen, sicher zu sein, dass ich Geräusche höre. Komische Geräusche. Du hast wenigstens mich dabei ...«
Cook seufzte und las weiter.
21.(?) Februar
Ich höre etwas in der Nacht oder vielleicht auch nur in meinem Kopf.
Verschiedenes. So wie Schlangen, die vor meiner Tür kriechen. Wie können da so viele Schlangen sein? Und warum pfeifen sie? Ist es diese verrückte Frau oder bin ich es?
Ich bin verwirrt.
Ich weiß es nicht.
Die Wände machen mich wahnsinnig. Die Schotten haben Nieten, nur sind es keine Nieten. Ich weiß, dass es in Wirklichkeit keine Nieten sind. Es sind winzige gelbe Augen, die blinzeln und glotzen und mich beobachten. Sie beobachten mich, starren mich an. Ich bin jetzt nie mehr allein. Nie, nie, nie. Die Augen wollen meine Geheimnisse erfahren. Die, die ich in meinem Kopf eingeschlossen habe. Aber nur ich besitze den Schlüssel. Und trotzdem starren sie und grinsen und beobachten mich. Sie warten auf etwas. Warten, dass ich etwas tue.
Aber was?
Mit dem Messer schneide ich lächelnde Münder in meine Hände.
Die Münder wecken mich.
Sie schreien.
25.(?) Februar
Die verrückte Frau streift immer noch durch die Gänge.
Oh, sie glaubt, ich weiß nicht, was sie will.
Aber ich weiß es, denn ich kann mit ihrem Geist genauso leicht denken wie mit meinem. Hahaha! Das hat sie nicht
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