Dead Souls: Horror (German Edition)
ist bei dir, Faith«, flüsterte er und stand auf.
Sie nickte, erhob sich dann und zog ihren Umhang an, der zusammengefaltet auf dem Bett hinter ihr lag.
Die Glocke läutete.
Sie nahmen sich an den Händen und verließen zusammen das Zimmer.
Kapitel 4
06. September 2005
16:03 Uhr
Unten im zweiten Stock des Appartementgebäudes fing jemand an, bei hoher Lautstärke Jimi Hendrix zu spielen, was Vibrationen zu Johnnys Füßen hochschickte. Der Beat von Purple Haze kämpfte hart gegen das kühle Nervenzucken an, das den Rest seines Körpers überfiel. Er bemühte sich, sein klopfendes Herz und seine zitternden Hände zu ignorieren, indem er tief durchatmete; er steckte den Zeigefinger in die Ecke des Umschlags und fuhr damit oben entlang, das Papier riss an der Falte auf. Drinnen schaute ein dreimal gefalteter Brief heraus. Er hatte die gleiche beige Farbe wie der Umschlag. Johnny leckte sich die trocknen Lippen und zog ihn heraus.
Er ertappte sich dabei, wie er hoffte, dass es sich bei dem Brief um seltsamen Müll handeln würde, einen Teil einer Postwurfsendung, die an zukünftige College-Studenten gerichtet war (natürlich hatte Mary nicht die Absicht, ihren Jungen aufs College zu schicken; nein, ihr großer Plan sah so aus, dass sie ihn zum Arbeiten schickte, damit er sich daran beteiligen konnte, die alltäglichen Grundlagen der Petrie-Familie zu unterstützen, danket dem Herrn für das Existieren meines Jungen ; unnötig zu sagen, dass Johnny in seinem Leben noch keinen einzigen Tag gearbeitet hatte, mit der ganzen Religionswissenschaft, die ihm aufgebürdet wurde). Er schielte erneut auf den Umschlag und sah, dass er per Hand abgestempelt worden war – keine vorsortierte Markierung. Dieser Brief, was er auch immer enthielt, war für ihn bestimmt.
Er ließ den leeren Umschlag auf den Tisch fallen und faltete das oberste Drittel des Briefs auf. Andrew Judsons Briefkopf war mittig angeordnet, in der gleichen altmodischen Schrift gedruckt. Darunter, direkt unter der Faltlinie stand ein Datum: 25. August 2005.
Ein Tag nach Johnnys 18. Geburtstag.
Er sagte immer wieder zu sich, dass seine Mutter zwei Anfälle bekommen würde, wenn sie wüsste, dass er Post ohne ihre vorausgehende Zustimmung geöffnet hatte; sie würde ihn diesen Brief nie lesen lassen – obwohl er an ihn adressiert war –, ohne ihn zuerst zu öffnen und seinen Inhalt zu inspizieren, und man kann sicher darauf wetten, dass seine Augen Andrew Judsons Brief niemals zu sehen bekommen hätten, wenn das so abgelaufen wäre, ohne Rücksicht auf den Inhalt. Ausnahmsweise war Johnny für das Feierabend-Ritual seiner Mutter dankbar.
Trotzdem schaute er sich nervös um, blickte ins Schlafzimmer, und dann durch das schmutzige Küchenfenster auf die Feuerleiter, er fühlte sich ängstlich paranoid, und dennoch
äußerst neugierig. Dieser Umschlag ist an mich adressiert . An mich. Er grinste verlegen und fragte sich, warum in Gottes Namen er sich so irrational verhielt, warum er sich wie ein Krimineller vorkam. Niemand beobachtet mich. Ich mache nichts falsch.
Erzähl das deiner Mutter, Johnny. Wenn sie dich jetzt sähe, würde sie in die Luft gehen und den Zorn Jesu härter auf dich schleudern als Roger Clemens’ Fastball, und dich dazu zwingen, die ganze Nacht Bibelpassagen über »Du sollst nicht stehlen« zu lesen.
»Scheiß drauf«, murrte er, natürlich leise, nur für den Fall, dass seine Mutter beschlossen hatte, früh nach Hause zu kommen und mit einem Ohr an der Tür lauschte, um zu versuchen, durch den mühsamen Angriff auf Foxy Lady hindurch heimlich seine persönlichen Sünden zu ermitteln.
Er entfaltete den Brief, und sein Blick fiel auf die Wörter. Sofort drehte sich ihm der Kopf, und eine trockene Muffigkeit schien den Raum zu erfüllen. Er zitterte, leckte sich erneut die Lippen. Seine Lungen japsten nach Luft, und ein leises Geräusch entwich ihnen, als er sich den Brief vorlas:
Andrew Judson, Rechtsanwalt
14 Main Street
Wellfield, ME 12789
(207) 555-0300
25. August 2005
Mr. John Petrie
479 East 88 th Street
New York, NY 10017
Betreff: Rückzahlungsverpflichtung und Freistellung Perry County Vormundschaftsgericht
Sehr geehrter Mr. Petrie,
in Sachen des Nachlasses eines Benjamin Conroy ist es jetzt meine Pflicht, Sie, Mr. John Petrie, wohnhaft in der 479 East 88 th Street, New York, NY, als den Alleinerben von Mr. Conroys Nachlass zu nennen, der Ihnen testamentarisch vermacht wurde. Wie bei der letzten Ölung des
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