Dead Souls: Horror (German Edition)
Mächte für das Ziel des ewigen Leben im Jenseits rein und in Ehren in Anspruch nehmen möge, mit höchster Ernsthaftigkeit und Hingabe.«
Und wieder läuteten nach dem Ende des Banns die Glocken. Sofort danach ließ Benjamin die Kerze auf das Pergament mit dem Siegel von Osiris fallen, zusammen mit der Amselfeder. Der Gegenstand ging in Flammen auf, dichter schwarzer Rauch stieg auf und sammelte sich an der Decke. Die drei hielten ihre Hände über die Flamme, der Rauch sickerte durch ihre Finger, und sie wiederholten gemeinsam laut: »Dir widmen wir Erde und Rosen, um deinen Geist zu stärken, oh unendlich mächtiger Osiris, in der Hoffnung, dass du dies als annehmbare Gabe für deine Freigebigkeit akzeptieren mögest.«
Sie ließen einander los, Elizabeth legte sofort wieder ihre Hände mit den Handflächen nach oben auf die Knie. Faith schnappte sich den Kelch mit den Rosen und Benjamin den mit Erde. Sie schütteten ihre Gaben in die Flamme und erstickten sie. Ein heftiges Zischen trat aus dem dreckigen Haufen aus. Sie öffneten die Augen. Benjamin und Faith schauten ihre Tochter in all ihrer glänzenden Nacktheit an.
»Fühlst du den Geist von Osiris in dir?«, wollte Benjamin von seiner Tochter wissen.
Elizabeth nickte.
Eine Glocke läutete, die nächste Phase des Rituals einleitend. Benjamin und Faith rieben mit ihren Zeigefingern in dem Haufen aus Erde und Asche herum. Elizabeth schloss die Augen und bot ihnen ihre Narbe an.
Gleichzeitig drückten Benjamin und Faith auf Elizabeths Brustbein, auf gegenüberliegende Stellen ihrer Narbe. Langsam fuhren sie die Form nach, eine Schleife nach oben, dann trafen sie im Scheitelpunkt der Kurve knapp unter ihrem Hals aufeinander, eine Spur nasser Asche beschichtete das beschädigte Fleisch wie sandige Erde an einem Bachufer.
»Osiris ist jetzt bei dir, Elizabeth«, verkündeten Vater und Mutter.
Sie nickte annehmbar, dann stand sie still auf und schlüpfte in ihren schwarzen Strickmorgenrock, der dreimal gefaltet auf ihrem Nachttisch lag.
Die Glocke läutete.
Sich an den Händen haltend verließen Vater, Mutter und Tochter, die alle schwarze Roben mit Kapuzenumhängen trugen, das Zimmer.
Kapitel 6
06. September 2005
16:19 Uhr
Draußen war ein perfekter Tag gewesen. Der Sommer hatte sich geweigert, dem Herbst seine Freuden zu überlassen. Die Bäume entlang der Gehwege der 28sten Straße waren immer noch grün und präsentierten wie im Juni stolz ihre Blätter. Es hatte knapp 23 Grad, laut dem runden Thermometer an der Feuerleiter; Tauben flogen herbei und wieder weg und erledigten auf den schwarzen Gittern ihr Taubengeschäft, etwas, das Johnny am Wochenende wegwischen müsste.
Johnny Petrie, der sich sein ganzes Leben lang schwach und ängstlich und verunsichert gefühlt hatte, hatte jetzt in den letzten zehn Minuten seine ganzen Unsicherheiten abgelegt, da er ein reicher Mann sein könnte. Wer sagte, dass Geld nicht glücklich machte? Er hatte es noch nicht, aber die Aussicht darauf, reich, 18 und imstande zu sein, aus dem Gefängnis, das sein Zuhause war, zu entkommen, erfüllte ihn mit einem Gefühl der Individualität, der Freiheit. Er müsste nicht mehr länger den Sklaven von Marys Launen spielen, müsste nicht mehr ihren strengen Regeln Folge leisten, etwas bis dahin Unvorstellbares in seinem kontrollierten Leben. Jetzt lag möglicherweise alles an einem Handgriff zum Telefon.
Das Telefon.
Sollte es nicht echt sein, sollte sich der Brief als Schwindel herausstellen, würde er sich wieder auf der jämmerlichen Erde niederlassen und seine erbärmliche Existenz weiterführen müssen. Gott bewahre , wie Mary gerne sagte.
Mit dem Brief in der linken Hand, nahm er schwungvoll den Hörer von der Gabel, klemmte ihn zwischen Kinn und Schulter und wählte die Nummer.
Er konnte das Piepen hören, das aus dem Hörer wie Glockenläuten klang …
… Glockenläuten …
… seine Augen starrten auf ein staubiges Spinnennetz, das von der Ecke der Decke wie eine winzige Kletterpflanze herunterhing.
Das Telefon läutete.
Beim ersten Klingeln nahm jemand ab. Johnnys Körper zitterte in der stillen Millisekunde während des Klickens des Telefons und der heiseren Stimme der Frau, die abnahm: »Andrew Judsons Büro.«
Zuerst setzte sich Johnny auf den kleinen Esstisch in der Küche. Sein Herz klopfte in der Brust wie der Schritt eines Soldaten, seine Füße waren plötzlich taub, die Zunge so trocken wie Pergament. Er sprach mit schwacher und unruhiger
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