Dead Souls: Horror (German Edition)
Schmerzen vorbeidrängte, die versuchten, ihn dahinzuraffen, vorbei an dem eingebildeten Gefühl, wie die verrottenden Finger des Psychos sein Genick packten. Die Dunkelheit der Landstraße empfing ihn, und er begrüßte sie als eine Welle rettender Gnade vor dem Bösen, das ihm hinterherbrüllte: »Bruder…«
Kapitel 30
08. September 2005
21:46 Uhr
»Vier-sieben-neun, East Eighty-Eighth Street. Appartement Drei B. Ja. 22:00 Uhr. Ein für Rollstuhlfahrer geeigneter Transporter. Ja, mit automatischer Rampe. Der Fahrer muss mir auch mit dem Gepäck helfen, also sagen Sie ihm bitte, dass er mit Warnblinker in zweiter Reihe parken soll. Im Gebäude gibt es einen Aufzug, also dauert es nur ein paar Minuten, bis man wieder unten ist. Danke.«
Mary Petrie legte den Hörer auf. Sie starrte auf ihre faltige Hand – wie seltsam sie in hellem Licht aussieht , dachte sie gleichgültig – dann warf sie einen Blick auf die Küchenuhr: 21:47.
Geh zum Haus.
Als Mary im Krankenhaus aus einem unruhigen, Bettlaken verdrehenden Schlummer aufwachte, war sie von einer unerklärlichen, verlassenen Wahrnehmung überwältigt worden. Bewusstes Denken, wie sie es kannte, war verschwunden, und an seiner Stelle erblühte eine gedankenlose, körperliche Empfänglichkeit, die sie dazu getrieben hatte, aus dem Bett zu steigen, sich anzuziehen und das Krankenhaus zu verlassen. Wie ein Lauffeuer hatte sie Mary verzehrt, ihr Gehirn fühlte sich an, als wäre es mit einem Serum injiziert worden, das sich aus Scharfsinn und Intellekt zusammensetzte.
Jetzt brachte diese neuentdeckte Wahrnehmung sie dazu, mit einem Maß an Kraft und Konzentration zu agieren, das sie früher niemals gekannt hatte – plötzlich fühlte sie keine Angst, keine Depressionen, keine Schwäche, die sie herunterzog. Sie war eine neue Frau geworden, die keine Medikamente brauchte, die von ihrem früheren instabilen Zustand nichts wusste, die vor eisernem Willen strotzte, um der postmortalen Forderung ihres Ehemanns nachzukommen.
Rette meine sterbende Seele.
Nach dem Verlassen des Krankenhauses ging sie geradewegs nach Hause, wo sie eine kleine Tasche packte und den zusammenklappbaren verstaubten Rollstuhl im Schrank ausfindig machte. Das Einzige, was etwas bedeutete, war ihr wildes, unvergängliches Bedürfnis, Johnny aus den Fängen des Bösen zu retten – der Vogel auf dem Fensterbrett hatte sie davon überzeugt, Geh zum Haus , und sie war seinem großzügigen Rat mit standhafter Begeisterung gefolgt; als regelmäßige Erinnerung an ihre Pflicht streichelte sie vorsichtig die Feder in ihrer Tasche. Sie würde zum Haus gehen, Johnny aus den Fängen des Bösen befreien und Eds sterbende Seele retten. Und danach würde sie beide nach Hause bringen, gesund und munter, wo sie den Rest ihres Lebens als die glückliche Familie verbringen würden, die sie sich immer vorgestellt hatte.
Sie klappte den Rollstuhl auf, löste die Sicherungen und rollte ihn zu Eds baumelnder Leiche hinüber. Der Ledergürtel, mit dem er sich erhängt hatte, hatte sich tief in seinen Hals gegraben, wodurch sein Eigengewicht jetzt nach unten gesackt war – seine schwarzen Fußballen waren jetzt am Boden, seine Knie leicht gebeugt, sein Kopf in einen eulenähnlichen Winkel verdreht, fast umgedreht. Sie rückte den Rollstuhl nach vorn und stellte die Radbremse so ein, dass er genau unter der blutgetränkten Jeans stand. Der Ledersitz streifte seine Beine, und Ed baumelte ein wenig hin und her. Der Balken, an dem er hing, quietschte wie eine rostige Türangel.
Mary holte die Schneiderschere, die sie in der obersten Schublade ihrer Kommode aufbewahrte – eine hochbelastbare Edelstahlschere, die beste ihrer Art, gut für die Frau, die alle Näharbeiten zu Hause selbst erledigt – dann streckte sie ihren rechten Arm über Eds Kopf und schnitt den Ledergürtel mitten zwischen der Decke und seinen verfilzten Haaren durch.
Die Schere erledigte ungefähr ein Drittel – Eds Gewicht übernahm den Rest. Der Gürtel riss entzwei, und Ed plumpste in den Sitz des Rollstuhls. Mary ließ die Schere fallen und hielt die Griffe fest, ihr Gewicht so verlagernd, dass der Rollstuhl nicht nach vorn kippen würde. Ihr Herz pochte wie verrückt in ihrer Brust, als sie den Rollstuhl sicherte … und in diesem entsetzten Augenblick brach ihr unsicheres, mental kränkliches Selbst durch, und sie erkannte blitzartig die Situation, zunehmend verängstigt und verunsichert. Sie nahm die Szenerie vor sich wahr, hatte
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