Deadline - Rache, wem Rache gebuehrt
sicher. Doch Jack griff in seine Tasche und zückte eine Videokassette in einem Plastikbeutel.
»Ich habe mir schon gedacht, dass du versuchen würdest, es zu leugnen«, brummte er, schaltete den ziemlich alten Fernseher und den Videorekorder ein und schob die Kassette in das Gerät. Diedre stierte auf den schwarz-weiß gesprenkelten Bildschirm, während er die Einstellungen regelte. »Los geht’s.« Er drückte die Abspieltaste, und flimmernd erschien das Bild einer Reporterin, die vor dem Bungalow stand, auf der Mattscheibe.
Die Reporterin stand im Regen, hielt ein Mikrofon in der Hand und verzog ein wenig das Gesicht, als ein Windstoß sie traf. »… heute Nachmittag wurde die aus dem Gefängnis flüchtige Marla Cahill in dem Haus, das Sie hinter mir sehen, tot aufgefunden …«
»Das stimmt nicht«, flüsterte Diedre. Sie hatte geträumt, das Miststück getötet zu haben, aber sie hatte doch niemals wirklich abgedrückt … oder? Sie hatte Marla nicht umgebracht …«
»… den teilweise bereits verwesten Leichnam aus dem Haus …«
Eine Bahre mit einem Leichensack wurde von der Rückfront des Hauses, von der hinteren Veranda, wie Diedre erkannte, zum wartenden Kleinlaster der Gerichtsmedizin gerollt.
»Nein«, flüsterte sie und schüttelte den Kopf.
»Sie hatte jetzt noch nicht sterben sollen, nicht, bevor sie ihr die Schuld an den Morden zuschieben konnten. Du dummes, dämliches Weib, was hast du dir gedacht? Hast du den Verstand verloren, verdammt noch mal?«
Sie sah ihn böse an. Statt stolz auf sie zu sein, nach allem, was sie für ihn getan hatte, war er stinksauer. Wütend schaltete sie Fernseher und Videorekorder aus. Plötzlich war es still im Haus. Totenstill.
»Es war nicht vorgesehen, dass du meinen Enkel entführst!« Jack zitterte vor Wut. »Er ist das Bindeglied. Ich habe wie ein Wahnsinniger dafür gekämpft, dass mein Sohn Jack Cissy kennenlernte, und als sie dann heirateten, dachte ich, ich hätte das große Los gezogen. Und dann fing sie an, von Scheidung zu reden, und du … du hast nun alles endgültig vermasselt. Ich möchte wissen, warum ich mich überhaupt jemals mit dir eingelassen habe.«
»Jack …«
»Ich heiße Jonathan«, sagte er kalt, wehrte sich gegen den Spitznamen, den sie ihm gegeben hatte, den Namen seines Sohnes. Sie fand ihn süß und verspielt, und er hatte sich damit abgefunden. Bis jetzt.
Sie lehnte sich an das Bett. Alles veränderte sich, alles wirbelte in ihrem Kopf durcheinander. Hatte sie das Weibsbild tatsächlich umgebracht und sich eingeredet, sie würde noch leben? Herrgott, diese Kopfschmerzen! Sie massierte sich die Schläfen und versuchte nachzudenken. Sie erinnerte sich an mehrere Gespräche mit Marla. Ihre Mutter hatte in ihrem Sessel oder auf dem Bett gesessen, ohne ein Wort zu sagen, hatte entweder höhnisch gegrinst oder geschmollt … oder hatte da die Verwesung schon eingesetzt? Doch sie hatten sich unterhalten, über den Kleinen, über Rory, über ihr verdammtes Haar. Diedre erinnerte sich, ihr die Nägel geschnitten zu haben, zugehört zu haben, wenn Marla mit leiser Stimme nörgelte … das war’s … immer diese leise Stimme. Seit sie in dem Zimmer im Keller einquartiert war. Da hatte sie angefangen zu flüstern. War es möglich, dass sie gar nicht genörgelt hatte? Wie oft hatte Diedre sich gefragt, warum Marla so leise redete, warum sie nur sprach, wenn Diedre ihr den Rücken zukehrte, warum ihre Lippen sich kaum bewegten.
O Gott!
War das denn möglich?
Hatte sie … Himmel, hatte sie den Kleinen in das Haus geschleppt, um eine Tote zu besuchen? Als Beejay sich über den Gestank beklagte, hatte er da den Geruch von Fäulnis und verwesendem Fleisch in die Nase bekommen?
Bilder flackerten vor ihrem inneren Auge. Grauenhafte Bilder von einer verwesenden Leiche – überall Maden, sich lösendes Fleisch – überdeckten das Bild des schönen Gesichts ihrer Mutter … Oh … O nein … Ihr Magen rebellierte, es stieg ihr sauer in die Kehle, sie zitterte innerlich.
»Du hast sie viel zu früh umgebracht!«, wiederholte er und riss Diedre damit wieder zurück in die Gegenwart. Am ganzen Körper brach ihr der Schweiß aus, und die Kopfschmerzen, diese verdammten unerträglichen Schmerzen, wühlten in ihrem Gehirn. »Wie blöd bist du eigentlich? Marla sollte noch leben, nachdem du die Personen, die sterben mussten, aus dem Weg geräumt hattest … Eugenia und Rory und Cherise. Deswegen hast du doch den Verdacht auf sie gelenkt.
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