Deadline - Toedliche Wahrheit
erkennen, die als Teil einer zuckenden Horde auf der Straße herumschlurften. Ich hatte noch nie zuvor so viele Infizierte auf einem Haufen gesehen. Ich zählte fünfzig, bevor mein Gehirn mir den Dienst versagte und sich weigerte, weitere Eindrücke zu verarbeiten.
»… wir wiederholen, die Bundesregierung hat ganz Florida zur Gefahrenzone erklärt. Nicht infizierte Bürger werden dazu aufgerufen, in ihren Häusern zu bleiben und auf Hilfe zu warten. Wer auf der Straße angetroffen wird, kann ohne Vorwarnung erschossen werden. Wer sein Zuhause verlässt, wird als infiziert eingestuft und entsprechend behandelt. Bitte bleiben Sie daheim, und warten Sie auf Hilfe! Bitte … « Dem Nachrichtensprecher versagte die Stimme, als er bei seiner sorgfältig vorbereiteten Rede aus dem Tritt geriet. Die Bilder von der Flut liefen lautlos weiter. Selbst ein Stöhnen vom Band kann Zombies anlocken.
Der Nachrichtensprecher fand seine Stimme wieder und sagte: »Berichte über vergleichbare Ausbrüche sind aus Huntsville, New Orleans, Baton Rouge und Houston eingetroffen. Bis jetzt haben wir noch keine genauen Angaben, aber die Zahl der Todesopfer geht laut Schätzungen in die Tausende und steigt beständig.« Erneut verstummte er, diesmal für länger, ehe er fortfuhr: »Viele bezeichnen die derzeitigen Ereignisse als das zweite Erwachen. Gott erbarme sich meiner, aber ich bin mir nicht so sicher, ob sie damit unrecht haben. Gott erbarme sich uns aller!«
Ein knackendes Geräusch war zu hören, wie wenn jemand ein Mikrofon hinlegt, gefolgt von Schritten. Die Bilder der Flut und der Infizierten liefen ohne Ton weiter.
»Das geht vor«, sagte Alaric. Seine Stimme klang ausdruckslos, und mit einem Schreck fiel mir ein, dass die meisten seiner Familienangehörigen in Florida lebten. »Das zweite Erwachen. Ihr seid mitten durchgefahren, ohne es zu bemerken.«
»Oh mein Gott«, flüsterte ich wie George vor mir. Das Bild im Fernsehen wechselte, und nun stand unten »Huntsville«. Die Stimme des Nachrichtensprechers meldete sich nicht wieder zu Wort. »Ist das echt?«
»Es ist echt«, antwortete Maggie.
Das ist das Ende der Welt , sagte George, und ich stimmte ihr im Stillen zu.
Maggie weinte ohne jede Scham. Die Tränen liefen ihr über die Wangen. Ihre Nase war wund; offenbar weinte sie schon seit einer ganzen Weile immer wieder. Sie griff nach meiner Hand, und ich zog sie nicht weg, sondern ließ zu, dass sie ihre Finger mit meinen verschränkte. Becks trat neben Alaric, und er nahm sie einmal mehr in die Arme und drückte sie an seine Brust. Zu fünft standen wir da und starrten auf den Fernseher.
Auf das Ende der Welt.
Buch 5
Das Erwachen
Das eine, worauf ich absolut vertraue, ist die menschliche Fähigkeit, alles noch schlimmer zu machen. Ganz egal, wie schlimm es steht, wir hauen uns liebend gerne weiter gegenseitig in die Pfanne. Manchmal frage ich mich, ob wir die Zombies nicht hätten gewinnen lassen sollen.
Shaun Mason
Ich glaube an die Wahrheit. Ich glaube an den Sinn guter Berichterstattung. Und ich glaube an Shaun. Alles andere ist nur ein Bonus.
Georgia Mason
Heute hätte es Shaun fast erwischt.
Er will mir nicht genau sagen, was passiert ist. Ich wüsste nicht einmal, dass etwas passiert ist, wenn man in seinem Videomaterial nicht die Stelle erkennen könnte, an der er ein paar Hundert Sekunden herausgeschnitten hat. Normalerweise laufen die von ihm veröffentlichten Aufnahmen nahtlos durch, glatt und flüssig. Dieses Zeug sieht dagegen amateurhaft aus, und das verrät mir deutlicher als alles andere, dass da draußen etwas Übles passiert ist.
Als er nach Hause kam, stank er nach Desinfektionsmitteln und saurem Angstschweiß, die Sorte, die einem ausbricht, sobald der Adrenalinstrom versiegt ist, und er hat mich fast zehn Minuten lang im Arm gehalten. Als ich spürte, wie seine Schultern bebten, hörte ich auf zu lachen und versuchte, mich loszumachen. Auch meine Schultern begannen zu zittern, als mir klar wurde, was es bedeutete, wenn Shaun solche Ängste ausstand – Shaun, der einen Zombie hinterm Haus einmal als bestes Geschenk bezeichnet hat, das ich ihm je gemacht habe!
Vielleicht war das Leben schon immer etwas Zerbrechliches, das man leicht verliert, und vielleicht reden all die Leute, die einem erzählen, wie schön es vor dem Erwachen war, bloß Müll. Jedenfalls leben wir nicht in ihrer Welt, sondern in dieser. Und in dieser Welt muss man nur einen einzigen Fehler begehen, einmal nicht
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