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Deathbook (German Edition)

Deathbook (German Edition)

Titel: Deathbook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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Angst lähmte sie. Sie erinnerte sich nicht an das tote Gesicht ihrer Mutter, aber sie wusste noch, dass sie sich an dem Abend verfolgt gefühlt hatte.
    Ann-Christin spürte, wie ihr Körper schwächer wurde. Die Muskulatur versagte. Sie konnte nichts dagegen tun, sie rutschte einfach vom Stuhl und blieb vor dem Sarg auf dem Fußboden liegen. Der Stuhl fiel polternd nach hinten um.
    Der goldene Saum des blauen Tuches, das den Tisch unter dem Sarg verbarg, schwang vor ihren Augen hin und her. Gelbe, gestickte Smileys erschienen wie Sterne auf dem Tuch, lachten ihr hämisch zu und verschwanden wieder.
    «Kommen Sie. Ich helfen Ihnen.»
    Sie spürte Hände unter ihren Achseln, die sie aufrichteten.
    Die Stimme ihres Vaters. Wieso war er hier?
    «Sie … sie kann nicht tot sein», stammelte Ann-Christin. «Ich … ich hab … sie nicht sterben sehen …»
    «Brauchen Sie einen Arzt?»
    Das klang jetzt nicht mehr wie ihr Vater. Sie kannte die Stimme nicht, aber sie klang weich und freundlich.
    «Nein … ich …»
    «Kommen Sie, ich helfe Ihnen auf den Stuhl. Sie können doch nicht auf dem kalten Boden bleiben.»
    Sie spürte die helfenden Hände, sah die Person dazu aber nicht. Ein paar Minuten saß sie teilnahmslos auf dem Stuhl, dann stürzten plötzlich die Tränen aus ihr hervor, als wären die Mauern eines Staudamms gebrochen. Sie schlug die Hände vors Gesicht, Schluchzen schüttelte ihren Körper.
    «Hier, nehmen Sie das bitte», sagte der Beerdigungsunternehmer und reichte ihr ein neues Taschentuch.
    Ann-Christin nahm es, ohne ihn anzusehen. Nach und nach versiegten die Tränen, ihr Blick und ihre Gedanken wurden klarer.
    «Ich kann sie mir einfach nicht tot vorstellen», sagte sie.
    «Das können die wenigsten», antwortete die warme Stimme neben ihr. «Das wird schon. Es braucht Zeit.»
    «Aber … aber ich habe sie zuletzt lebendig gesehen, und dann … dann … ich weiß es nicht mehr, es ist alles weg. Ich kann das nicht verstehen …»
    Der Mann neben ihr schwieg.
    «Ich muss sie sehen», sagte Ann-Christin.
    Sie hob den Kopf, sah den Mann an und legte so viel Kraft in ihren Blick, wie sie aufbringen konnte.
    «Ich muss sie sehen.»
    Die gewaltige Lok war jetzt fast da, die drei Scheinwerfer warfen ihr Licht auf die Schienen und beleuchteten den Körper darauf. Die Kamera zoomte ein letztes Mal ganz nah an das Gesicht des total verängstigten Mädchens heran. Diese weit aufgerissenen Augen, diese Todesangst darin …
    Dann verschwand der Körper unter dem Zug. Bremsen quietschten unerträglich laut, und dennoch kam die lange Reihe Güterwaggons nur langsam zum Stehen. Und die ganze Zeit hielt die Kamera auf die gewaltigen, mahlenden, zerstörerischen Radreifen.
    Für einen Moment meinte Tommy, ein abgetrenntes Körperteil dazwischen auszumachen. Er kniff die Augen zusammen, er wollte das nicht sehen. Er hatte gedacht, er wolle es, aber das hier war zu viel. Warum war die Kamera so nah herangegangen an das Gesicht des Mädchens? Das war doch viel zu intensiv. Großer Gott, was für ein perverses Arschloch hatte nur diese Aufnahme gemacht?
    Sein Magen zog sich abrupt zusammen. Tommy presste sich die Hände auf den Bauch und beugte sich vor. Er hatte Angst, sich übergeben zu müssen. Ein Zittern durchlief seinen Körper. Worauf hatte er sich da nur eingelassen? Das war doch einfach nur … krank.
    Das Quietschen der Bremsen brach abrupt ab. Tommy riss die Augen auf und sah auf den Bildschirm.
    Das Video war zu Ende, zumindest die Aufnahme des Zuges. Jetzt flimmerte so etwas wie ein Störbild über das Display. Nein, kein Störbild, eine sehr grobe schwarz-weiße Verpixelung, die zunächst den ganzen Bildschirm ausfüllte. Sie wurde immer feiner, die Kästchen immer kleiner, und langsam zog sich zur Mitte hin ein Quadrat zusammen.
    Ein QR -Code.
    Dann drehte sich aus dem QR -Code eine Maske hervor, füllte den Bildschirm aus und sprach mit grauenerregender Stimme zu Tommy.
     
     
    I ch saß in meinem dunklen Wohnzimmer und starrte auf den Bildschirm des Computers. Das Fotoprogramm war geöffnet. Durch den Besuch an Kathis Schule am Vormittag und dem Gespräch mit Franz Altmaier war die Erinnerung an ein Erlebnis an die Oberfläche gespült worden, das ich beinahe schon vergessen hatte, dabei lag es noch gar nicht lange zurück, vielleicht ein Jahr. Ich hatte mit Kathi eine Kanutour auf der Aller unternommen. Von Celle bis nach Verden waren wir zwei Tage unterwegs gewesen und hatten die Nacht in

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