Deathbook (German Edition)
mit den ausgestopften Ratten zu treffen. Sie waren das Ergebnis einer Kunstprojektgruppe, die sich mit dem Tod befasst hatte – mit den Mythen, die sich um ihn rankten, seinen Erscheinungsformen und seinem Einfluss auf die Menschen. Es verlangte keine große Kombinationsgabe, um zu erahnen, warum Frau Pfeifenberger mich ausgerechnet an dieser Vitrine treffen wollte.
Ich trank von dem Kaffee, den ich mir aus einem der drei Automaten im Treppenhaus gezogen hatte. Er war nicht schlecht, und ich brauchte das Koffein. Ich schlief nicht mehr. Mir wollte einfach keine brauchbare Idee für ein neues Buch einfallen. Es war zum Verzweifeln.
Denn immer wieder driftete ich in Gedanken zu Kathi ab.
Zwei Tage waren seit ihrer Beerdigung vergangen. Natürlich war ich immer noch tieftraurig, aber der Schock war mittlerweile einer unbändigen Wut gewichen. Ich brannte darauf herauszufinden, was meiner einzigen Nichte Kathi widerfahren war. Und sollte sie etwa jemand in den Tod gemobbt haben, würde ich ihn finden, und nicht einmal Gottes Gnade könnte diese Person dann noch retten. Ja, meine Wut loderte, und ich würde Mühe haben, sie vor Astrid Pfeifenberger zu verbergen.
Einen derart zornigen Autor abgründiger Psychothriller würde sie sicher nicht mit ihren Schützlingen sprechen lassen. Ich wunderte mich ohnehin über ihre Bereitschaft, mich zu unterstützen. Sie musste Kathi sehr gemocht haben.
Die Schulglocke läutete. Es war ein angenehmer, tragender Ton, fast wie der einer Domglocke. Nur Sekunden darauf sprangen überall Türen auf, und Schüler und Schülerinnen quollen in die weitläufige Aula. Ich blieb einfach sitzen und beobachtete. Niemand schien von mir besondere Notiz zu nehmen, nur vereinzelt streiften mich Blicke. Die Geräuschkulisse war erstaunlich. Eben noch war es still gewesen, jetzt vernetzten sich Hunderte Stimmen zu einer Flut von Geräuschen und undeutlichen Worten. Lebendigkeit umhüllte mich und schien die Mauern dieses altehrwürdigen Gebäudes von innen heraus sprengen zu wollen. Kathis Tod hatte hier kaum etwas hinterlassen.
Astrid Pfeifenberger kam auf mich zu. Ich war überrascht, dass sie immer noch Schwarz trug. Ich stand auf und schüttelte ihr die Hand.
«Wie geht’s Ihnen?», fragte sie und sah mich wieder mit diesem direkten, intensiven Blick an. Ich schätzte, dass ihre Schüler mit Lügen bei ihr nicht durchkamen.
Ich rang mir ein Lächeln ab und deutete mit dem Daumen auf die Ratten in der Vitrine.
«Die beobachten mich schon die ganze Zeit.»
«Man meint, sie würden noch leben, oder?»
«Ist es das, was Sie mir unbedingt zeigen wollten?»
Frau Pfeifenberger nickte. «Kathi hat in dieser Projektgruppe mitgearbeitet.»
«Haben Sie sie geleitet?»
«Nein, ein Kollege. Franz Altmaier. Ich weiß noch, wie begeistert er von Kathis Engagement war. Sie hat sich von allen Teilnehmern am stärksten engagiert. Die Idee mit den Ratten stammt zum Beispiel von Kathi. Franz meinte, Kathi sei von der Idee fasziniert gewesen, dass der Tod eine ansteckende Krankheit ist. Allerdings war die Arbeit der Projektgruppe schon vor drei Monaten abgeschlossen.»
Für den Tod keine lange Zeit, schoss es mir durch den Kopf, doch ich behielt es für mich.
«Vielleicht hat die Arbeit bei Kathi Spuren hinterlassen», sagte ich stattdessen und betrachtete die Ratten nachdenklich. «Aber ich kann es mir kaum vorstellen. Nicht bei einem so starken, lebendigem Mädchen wie Kathi.»
Astrid Pfeifenberger sah mich direkt an. «Ich verstehe es auch nicht. Vor einer Woche saß sie mir noch gegenüber, in der ersten Reihe, wie immer. Lehrer zu sein ist kein einfacher Job, aber in jedem Jahrgang gibt es einen Schüler oder eine Schülerin, aus der ich meine Motivation, meine Kraft beziehe. In diesem Jahrgang war das Kathi. Jeden Tag. Wenn ich sie angesehen habe, wusste ich sofort, warum ich tue, was ich tue. Und dass es nie vergebens ist.»
Ihre Augen wurden wieder feucht, und in dieser Sekunde nahm ich alle negativen Bemerkungen zurück, die ich je über Lehrer gemacht hatte. Und das waren viele.
Ich räusperte mich.
«Ihr Kollege, der die Projektgruppe geleitet hat …»
«Franz Altmaier.»
«Ja, ob ich mit dem wohl auch sprechen könnte?»
Die Lehrerin zuckte mit den Schultern. «Ich denke schon, aber er ist heute auf einer Fortbildung. Ich frage ihn, wenn er wieder hier ist.»
«Gut, danke. Und die Mädchen. Wollen die mit mir sprechen?»
«Zwei haben sich bereit erklärt. Viola und Theresa. Aber
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