Deathbook (German Edition)
das Wetter», klärte sie mich auf und wies mit dem Finger nach oben. «Es ist so, wie Kathi war. Sonnig und verspielt. Das ist doch schön … nicht wahr.»
Das letzte Wort klang zittrig. Die alte Dame wandte ihr Gesicht ab, zog ein Taschentuch hervor, eines dieser unmöglichen Dinger aus Baumwolle, schnäuzte sich lautstark hinein und schluchzte auf.
Ich blieb im Eingang zur Kapelle stehen und sah ihr nach. Ich kannte die Frau nicht, hatte sie nie zuvor gesehen, und doch würde sie mir ewig in Erinnerung bleiben. Denn sie hatte recht mit dem Wetter. Es passte zu Kathi. Anders durfte es gar nicht sein.
Jemand stupste mich zaghaft von hinten an.
«Nur Mut, auch das geht vorbei», sagte eine warme weibliche Stimme. «Sie sind der Schriftsteller, oder?»
Ich nickte. Sie zog mich mit sich, und wir suchten uns zwei Plätze in der vierten Reihe. «Und wer sind Sie?», fragte ich.
«Astrid Pfeifenberger, Kathis Klassenlehrerin», erwiderte sie.
Sie war sicher nicht älter als vierzig, hatte schulterlanges braunes Haar und braune Augen. Wie ich – bis auf die Haarlänge natürlich.
Wir ließen uns nebeneinander auf der kalten Holzbank nieder. Ihre Schulter berührte meine. Normalerweise meide ich eine so große Nähe zu fremden Personen, aber heute war sie mir nur recht. Außerdem war mir Frau Pfeifenberger sofort sympathisch.
Nur das Rascheln von Kleidung und das Schaben von Sohlen auf dem Betonboden war zu hören, hie und da murmelte jemand etwas. Die Kapelle füllte sich, die Trauergäste suchten sich still ihre Plätze. Die Stimmung war bedrückend, einengend, sie nahm mir den Atem.
«Kannten Sie Kathi gut?», fragte ich die Lehrerin.
Sie sah mich von der Seite an und zuckte mit den Schultern.
«Ich dachte schon, ja, aber … na ja, vielleicht war das auch ein Trugschluss. Mädchen in dem Alter können sehr verschlossen sein.»
«Kathi war aber kein verschlossenes Mädchen», entgegnete ich etwas zu laut und zog damit Blicke auf mich. Ich beugte mich zu Frau Pfeifenberger hinüber. Sie roch dezent nach einem teuren Parfum. «Eher im Gegenteil, aber das müssten Sie als ihre Klassenlehrerin doch wissen.»
Sie presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen und nickte. War ich ihr zu nahe getreten, hatte sie vielleicht sogar verletzt? Es tat mir auf der Stelle leid. Diese verdammte Wut. Sie machte mich ungenießbar.
«Glauben Sie denn, dass Kathi Selbstmord begangen hat?», raunte ich der Lehrerin zu. Etwas Besseres fiel mir nicht ein. Mein ganzes Denken drehte sich seit Tagen nur um diese eine Frage.
Frau Pfeifenberger musterte mich. Es war ein wenig unangenehm, so direkt angesehen zu werden, aber ich hielt ihrem Blick stand. Schließlich schüttelte sie mit einer kaum wahrnehmbaren Bewegung den Kopf.
«Nein», sagte sie leise. Ihre Stimme klang jetzt tränenerstickt. «Ich bilde mir ein, über eine gute Menschenkenntnis zu verfügen, und ich kann das einfach nicht glauben.»
Zwei weitere Personen schoben sich in unsere Bankreihe, wir mussten aufrücken. Die Lehrerin kam mir noch näher, unsere Oberschenkel lagen nun aneinander. Ich konnte ihre Körperwärme spüren. Ein offenerer Mensch als ich hätte ihr in diesem Moment vielleicht einen Arm um die Schultern gelegt, um sie zu trösten. Ich tat es nicht. Wie immer in solchen Situationen zog ich mich zurück in meinen Schildkrötenpanzer.
«Sie … Ihnen stand Kathi doch nahe», sagte Frau Pfeifenberger und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. «Das habe ich gespürt, als Kathi wegen des Zukunftstages gefragt hat.»
Sie sprach es nicht aus, aber es war auch so klar, was sie wissen wollte: Haben Sie nichts bemerkt?
Ich schüttelte den Kopf. «Schon … ja … aber da war nichts … ich habe keine Veränderung bemerkt. Zwar hatte ich sie zwei oder drei Wochen nicht gesehen, aber so etwas kommt ja nicht über Nacht, nicht einmal bei Teenagern, oder?»
Die Lehrerin schüttelte den Kopf.
«Nein, nicht einmal bei Teenagern. Ich … wir sind alle fassungslos … das ist so … so unbegreiflich.»
«Und Kathis Freundinnen? Was sagen die dazu?», wollte ich wissen.
«Nichts bisher. Ich habe in der Klasse versucht, ein Gespräch darüber zu führen, aber der Schock ist einfach zu groß. Nur Theresa, Kathis beste Freundin, hat da so eine Bemerkung fallenlassen.»
«Was für eine Bemerkung?», fragte ich viel zu laut und fing mir den bösen Blick eines Mannes in der Bankreihe vor mir ein. Viel fehlte nicht, und ich hätte ihm den
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