Deathbook (German Edition)
meinen Augen etwas nicht.
Ich startete den Motor. Meine Hand zitterte. Immer wieder versuchte ich, im Rückspiegel einen weiteren Blick zu erhaschen. Ich konnte einfach nicht glauben, dass mich eine alte Frau …
«Wird’s bald?», sagte sie.
Ich legte den ersten Gang ein und manövrierte meinen Wagen aus der engen Lücke auf die Straße. Die Scheinwerfer rissen die triste, schäbige Umgebung des Containerhafens aus der Dunkelheit.
«Und wohin?», fragte ich.
«Fahren Sie. Ich sag schon rechtzeitig Bescheid.»
Es klang, als stünde die Frau unter Zeitdruck. Befürchtete sie, dass die Polizei hier eintreffen würde? Hatte ich mich getäuscht, und nicht Mario Böhm war der Deathbook-Killer, sondern sie? Aber irgendwie hing der Master of Dark Tattoo doch mit in der Sache, sonst hätte er sich nicht so merkwürdig verhalten. Und wer waren die anderen Typen auf dem Containergelände, von denen einer tot zurückgeblieben war?
Ich verstand gar nichts mehr. Mein Kopf litt noch unter den Nachwirkungen des Stromstoßes. Klar zu denken war mir kaum möglich. Für den Moment ergab ich mich in mein Schicksal und tat, was die Frau von mir verlangte. Ich bog rechts oder links ab, sobald sie es befahl, und schon nach zehn Minuten befanden wir uns auf der Autobahn.
Dort fuhr ich mit hundertzwanzig auf der mittleren von drei Spuren. Mit beiden Händen umklammerte ich das Lenkrad. Ein paar LKW waren noch unterwegs, ansonsten war die Autobahn leer. Fieberhaft dachte ich darüber nach, wie ich mich aus dieser Situation befreien könnte. Immer wieder warf ich einen schnellen Blick in den Rückspiegel, doch die Frau hielt sich geschickt im toten Winkel.
«Sie fragen sich, was jetzt passiert, nehme ich an», sagte sie, nachdem wir ein paar Minuten auf der Autobahn unterwegs waren.
«Sagen Sie es mir?»
«Sie werden es noch früh genug erfahren, keine Bange. Und es wird gewiss nicht das sein, was Sie erwarten.»
«Wer sind Sie?», fragte ich.
«Was glauben Sie denn?»
«Ich … na ja, ich bin mir nicht sicher. Haben Sie etwas mit dem Tod meiner Nichte zu tun?»
«Sie stellen die falschen Fragen. Von Anfang an schon. Für einen Schriftsteller sind Sie ziemlich dumm. Da vorn kommt ein Rastplatz. Fahren Sie raus, stellen Sie den Motor ab und bleiben Sie angeschnallt sitzen.»
Der Rastplatz war nichts weiter als ein schmaler, unbeleuchteter Parkstreifen. Ich hielt hinter einer Reihe Sattelschlepper. Zumindest waren wir nicht ganz allein, auch wenn die Fahrer wohl längst schliefen und mir kaum helfen konnten.
«Sie können sich jetzt umdrehen. Aber bleiben Sie angeschnallt.»
Sosehr ich mir eben noch gewünscht hatte, einen Blick auf die Frau zu werfen, so wenig wollte ich es jetzt. Ich hatte das Gefühl, damit mein Todesurteil zu fällen.
«Hören Sie», sagte ich und blickte geradeaus durch die Windschutzscheibe. «Wir können bestimmt eine Lösung finden, es muss nicht zum Äußersten kommen.»
Die alte Frau lachte. Es war ein krächzendes, ungesundes Lachen.
«Dafür ist es längst zu spät. Die Dinge sind unumkehrbar. Und bilden Sie sich bloß nichts ein. Sie sind nur ein ganz kleines Rädchen im Uhrwerk des Todes. Auf Sie kommt es nicht an, ebenso wenig wie es auf Ihre Nichte ankam. Ein paar Opfer mehr oder weniger. Glauben Sie etwa, dass der Tod zählt? Vielleicht tut er das sogar, aber in anderen Größenordnungen als Sie und ich.»
Dieses Gerede kam mir irgendwie bekannt vor. Mit einem Ruck drehte ich mich um. Auf der Autobahn fuhr ein Fahrzeug vorbei, und das Streulicht der Scheinwerfer reichte aus, um etwas erkennen zu können.
Genau in der Mitte der Rückbank saß eine große, dünne Gestalt. Sie hatte in der Tat langes graues Haar und sah auch aus wie eine alte Frau. Das lag aber an der Latexmaske, die sie trug.
Das Licht verschwand und mit ihm dieses groteske Bild.
«Ah, der Groschen ist gefallen», sagte die Gestalt. Die Stimme klang immer noch weiblich und irgendwie zänkisch, aber jetzt fand ich, sie könnte auch zu einem Mann gehören.
«Wer sind Sie?», wiederholte ich meine Frage, dabei ahnte ich die Antwort bereits.
«Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ich Ihnen meinen Namen nenne. Niemand erfährt meinen Namen, niemand sieht mein Gesicht. Ich muss unsichtbar bleiben, sonst findet er mich. Er findet jeden, wissen Sie.»
«Posten und Sterben?», fragte ich. «Ist das Ihr Blog?»
«Bingo, Schriftsteller. Wohl doch ein helles Köpfchen. Nicht hell genug, wohlgemerkt, sonst hätten Sie den Tod
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