Deathkiss - Suess schmeckt die Rache
tropfte und unter dem Stuhl eine Lache bildete. Panik würde über ihn kommen, er würde das Ungeheuer ansehen, während ihm der Stuhl unter den Füßen weggetreten wurde, und erkennen, dass er gleich zur Hölle fahren würde. Das war der Plan.
Doch es kam anders. Oliver hatte nicht um sich geschlagen, nicht an der Schlinge gezerrt, nicht um sein Leben gefleht. Es war, als hätte er sein Los von vornherein akzeptiert … vielleicht sogar in seinen letzten Momenten Absolution gefunden.
Oliver hatte die Augen aufgeschlagen, die Flammen gesehen, die über um ihn herum aufgeschichtete Holzstücke, Seile und Lumpen züngelten. Hatte festgestellt, dass seine Handgelenke bluteten, das Ungeheuer angeblickt, gelächelt und dann, bevor das Ungeheuer reagieren konnte, seelenruhig den Stuhl umgestoßen, auf dem er stand. Der Stuhl polterte zu Boden.
Das hatte er nicht erwartet.
Unheimlich.
Es ärgerte ihn jetzt.
Ein Opfer, das seinen Tod willig hinnahm – das war ihm nicht recht.
Sich den Tod zu wünschen, war einfach falsch.
Wider die Natur.
Das Ungeheuer wollte den Kampf.
Er wollte Zeuge des Kampfes sein. Er wollte sich an der Panik seiner Opfer berauschen, zusehen, wie ihnen vor Angst das Mark gefror.
Nur so konnte er seinen Rachedurst stillen.
Das Gefühl der Macht erleben, das in ihm aufstieg, wenn das Opfer um sein Leben kämpfte, sich gegen ihn wehrte, wenn die Flammen immer höher loderten, alles verzehrten und er, das Ungeheuer, der Sieger war.
Olivers Selbstopferung hatte seinen Plan durchkreuzt.
Sie hinterließ einen faden Nachgeschmack.
Und jetzt dies hier! Die Flucht der Kleinen.
Offenbar war sie doch nicht so harmlos, wie sie sich gestellt hatte. Sie hatte ihn getäuscht, berechnend und entschlossen, eine würdige Gegnerin. Shannons Tochter. Es reizte ihn, sie zu jagen, sie zu stellen.
Sie würde verlieren.
Natürlich.
Gerissene kleine Göre! Er musste sie finden! Er musste!
Angesichts dieser neuen Herausforderung wurde er ruhiger, rüstete sich zur Jagd. Er ging hinüber in den Wohnbereich, blickte in den Spiegel und spürte, dass etwas nicht stimmte. Im nächsten Moment bemerkte er, dass eine seiner gerahmten Fotografien fehlte. Das Foto von Shannon. Er sah nach, ob es vielleicht heruntergefallen war oder von einem der anderen Bilder verdeckt wurde, aber nein, es war fort.
Er knirschte mit den Zähnen, als die Wut, die er eben noch gezügelt hatte, erneut in ihm aufbrodelte. Das elende kleine Miststück hatte das Foto gestohlen!
Oh … Das würde sie noch bereuen …
Wenn er sie erwischte, würde er ihr mit aller Deutlichkeit klarmachen, dass sie zu weit gegangen war. So etwas durfte nie wieder passieren. Was bildete sie sich eigentlich ein, zu glauben, sie könnte ihm das verdammte Foto stehlen?
Am liebsten hätte er sie auf der Stelle umgebracht, schnell, um sie endlich loszuwerden, doch das ging nicht. Es hätte seinen Plan zunichte gemacht, den er über Jahre hinweg so sorgfältig geschmiedet hatte.
Einen Plan, der ihretwegen jetzt gefährdet war.
Doch von einem erbärmlichen, hinterhältigen Teenager ließ er sich nicht aufhalten. Er würde sie finden. Und dann würde sie begreifen, mit wem sie es tun hatte.
Er schlug mit der Faust gegen die Wand. Er konnte es nicht erwarten, sie zu packen, sie zu schütteln und zu sehen, wie sie schrie vor Angst und Schmerz.
Hör auf! Denk nach! Beruhige dich.
Du kannst sie finden. Eine Flucht von hier aus ist nahezu unmöglich. Sie kann nicht weit gekommen sein. Du musst sie überlisten.
Seine Gedanken rasten, er zwang sich, tief und ruhig durchzuatmen, das vor ihm Liegende als Herausforderung zu betrachten. Als Jagd.
Wie viel Vorsprung hatte sie?
Nicht genug, dachte er. Er war nicht so lange fort gewesen, dass sie meilenweit hätte laufen können. Zwar bot der dichte Wald reichlich Deckung, aber sie würde sich an Wege und Straßen halten müssen, um nicht die Orientierung zu verlieren. Schließlich war es dunkel …
Er sah sich nach seiner Taschenlampe um. Sie war verschwunden.
Hastig durchsuchte er die ganze Hütte. Die Kleine hatte ein Messer und ein Feuerzeug, aber keine Ersatzbatterien mitgenommen. Die Taschenlampe würde noch vor Tagesanbruch versagen, und das Feuerzeug würde ihr wenig nutzen. Sie konnte kein Feuer machen, um Aufmerksamkeit zu erregen, denn es würde ihn auf ihre Spur locken. Außerdem musste sie befürchten, im zundertrockenen Wald einen Brand zu verursachen, in dem sie dann selbst umkommen würde.
Nur ein
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