Deathkiss - Suess schmeckt die Rache
alter, holpriger Fahrweg führte hier oben durch den Wald. Zwar gab es Wildpfade und Wanderwege, doch alle liefen an einem Punkt zusammen.
Bei den Brücken.
Es waren zwei: eine für die Eisenbahn und eine andere, die ursprünglich für Holztransporte gebaut war, für Lastwagen. Beide überspannten die Schlucht an einer schmalen Stelle, kaum vierhundert Meter voneinander entfernt.
Abgesehen davon gab es nur eine weitere Möglichkeit, von dem Berg hinunterzugelangen: indem man den Gipfel umrundete. Doch dazu musste man zunächst bergauf steigen, bis man auf den gleichermaßen steilen und gefährlichen Weg nach unten traf. Er setzte darauf, dass die Kleine wohl eher bergab als bergauf geflohen war.
Er brauchte sie also nur abzufangen.
Er ging nach draußen.
Sein Pick-up war bereits mit allem Nötigen beladen: Flinte, Munition, Jagdmesser, Stiefel, Handschuhe, Nachtsichtgerät und Seil.
Bei Tagesanbruch würde er das kleine Miststück wieder in seiner Gewalt haben.
Nichts und niemand durfte seinen Plan zunichte machen.
Er war schon so weit gekommen.
Danis Taschenlampe war nutzlos geworden; der schwache Strahl war nun vollständig erloschen. Erschöpft hockte sie sich hinter einen Baum. Vielleicht sollte sie lieber ein paar Stunden schlafen, bis zur Dämmerung. In der Dunkelheit kam sie nicht weiter.
Aber du musst weitergehen, sonst wird er dich finden.
Sie spürte ein Beben.
Der Boden zitterte, ebenso der Stamm des Baumes, an dem sie lehnte.
Heiliger Strohsack, war das ein Erdbeben? Das durfte doch nicht wahr sein – nach allem, was sie bereits durchgemacht hatte, auch noch ein verdammtes Erdbeben?
Sie sprang auf, überlegte fieberhaft, wo sie sich in Sicherheit bringen könnte, und dann hörte sie es: das vertraute Grollen eines durch die Nacht rasenden Zuges.
Wo? Sie sah sich verzweifelt um. Wo?
Licht drang durch den Wald, als der Zug näher kam. Ohne an ihre schmerzenden Muskeln zu denken, rannte Dani zwischen Bäumen und Gestrüpp hindurch und stand plötzlich vor den Gleisen, für die ein breiter Streifen Wald gerodet worden war. Das Licht war schon fast auf gleicher Höhe mit ihr, und mit einem ohrenbetäubenden Donnern schoss die Lok vorbei, eine endlose Schlange von Frachtwaggons hinter sich herziehend.
Keine Chance aufzuspringen – dabei hätte Dani jetzt verzweifelt gern in einem der großen Container gehockt, der sie aus diesem elenden Wald hinausgebracht hätte. Am nächsten Bahnhof wäre sie zur Polizei gegangen und hätte den Spinner angezeigt.
Unmöglich, der Zug fuhr viel zu schnell.
Im nächsten Moment verschwand er in der Nacht. Verzweiflung und Mutlosigkeit überwältigten Dani. Alles war so sinnlos.
Sie ging weiter in die Richtung, aus der der Zug gekommen war, fort von der Hütte. Fort von ihm.
Ihr Mund war trocken wie Sand, ihre Muskeln schmerzten. Sie hätte Gott weiß was für eine Cola und eine Pizza gegeben oder für die Spezial-Tacos ihres Dads. Wenn sie nach Hause kam, würde sie zuerst einmal den Kühlschrank plündern.
Falls sie wieder nach Hause kam.
Als die Sonne aufging, waren ihre Füße bereits wund gescheuert, und sie wusste, dass ein heißer Tag bevorstand. Schon jetzt, am frühen Morgen, spürte sie die Hitze, kein Hauch von Frühdunst lag in der Luft, keine Wolke war am Himmel zu sehen.
Hinter einer Wegbiegung sprangen zwei Rehe, ebenso erschrocken wie sie selbst, ins Gebüsch. Ihr Herz raste, und sie ermahnte sich zur Ruhe. Da sah sie die Brücke.
Dani erstarrte, wie vom Donner gerührt.
Ihr Herz drohte stehenzubleiben. Die schmale, hölzerne Eisenbahnbrücke spannte sich über den tiefen Abgrund zwischen steilen Felsen. In etwa dreißig Meter Tiefe verlief ein ausgetrocknetes Bachbett, kein Weg führte nach unten.
»Verdammt.«
Angst krampfte ihr das Herz zusammen.
Es gab doch sicher eine andere Möglichkeit … Doch als sie sich umschaute, wurde ihr klar, dass sie in eine Sackgasse geraten war.
Konnte es denn so schwierig sein? Sie war doch meilenweit den Schienen gefolgt und nicht ein einziges Mal gestürzt. Sie musste entweder den Weg zurückgehen, den sie gekommen war, oder die Brücke überqueren. Es war reine Nervensache. Sie durfte nicht nach unten blicken. Musste einen Fuß vor den anderen setzen. Nur nicht in Panik geraten.
Aber, Mannomann, es war eine so weite Strecke!
Vielleicht gab es noch einen anderen Weg über die Schlucht, vielleicht fand sie auch einen Pfad hinunter zum Bachbett, dem sie dann weiter folgen konnte. Verzweifelt
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