Deborah Crombie - 03 Und Ruhe in Frieden 04 Kein Grund zur Trauer
das Leintuch bis zur Taille des Toten zurück. »Eine schöne saubere Leiche. Das macht es immer ein bißchen einfacher, finden Sie nicht auch?« Sie lächelte sie strahlend an, als hielte sie sie für leicht debil, ging dann zur Schwingtür zurück und rieflaut »Mickey!« in den Flur hinaus. »Wir brauchen Hilfe, wenn wir ihn umdrehen wollen«, fügte sie zu Kincaid und Gemma gewandt erklärend hinzu.
Mickey erschien einen Augenblick später. Wie ein Bulle, der endlich aus dem Stall gelassen worden ist, stürmte er durch die Tür. Die Muskeln in seinen Armen und Schultern spannten das dünne Gewebe seines T-Shirts, und er trug die kurzen Ärmel aufgerollt, um ein paar Extrazentimeter Bizeps zu zeigen.
»Kannst du diesen Leuten hier mal mit Nummer vier helfen, Mickey?« sagte Sherry sehr artikuliert. Ihrem freundlich gönnerhaften Kindergärtnerinnengehabe war jetzt eine Prise Gereiztheit beigemischt. Der junge Mann nickte nur mit unbewegtem Pickelgesicht und zog ein paar dünne Latexhandschuhe aus der Hüfttasche seiner weißen Hose. »Lassen Sie sich Zeit, soviel Sie wollen«, bemerkte sie zu Kincaid und Gemma. »Wenn Sie fertig sind, brauchen Sie nur zu rufen, okay? Tschüs inzwischen.« Mit flatterndem Kittel flitzte sie an ihnen vorüber und ging durch die Schwingtür hinaus.
Sie traten zu der Trage und blieben schweigend vor ihr stehen. In der Stille hörte Kincaid Gemmas leisen Atem. Connor Swanns Hals und Schultern waren mager und gut geformt, das volle glatte braune Haar hatte einen Stich ins Rötliche. Kincaid vermutete, daß er im Leben einer jener Männer gewesen war, die im Zorn oder in der Erregung schnell rot anliefen. Sein Körper zeigte in der Tat kaum Male. Am linken Oberarm und an der Schulter waren Blutergüsse zu erkennen, und als Kincaid näher hinsah, entdeckte er auf beiden Halsseiten schwache dunkle Stellen.
»Ein paar Quetschungen«, sagte Gemma zweifelnd, »aber keinerlei Verfärbung von Gesicht und Hals, wie man sie bei manueller Strangulierung erwarten würde.«
Kincaid beugte sich tiefer über den Toten. »Keine Ligatur. Schauen Sie, Gemma, da am rechten Wangenknochen, ist das ein Bluterguß?«
Sie musterte die dunkle Stelle. »Möglich. Schwer zu sagen. Er kann leicht mit dem Gesicht gegen das Schleusentor geschlagen sein.«
Connor Swann, dachte Kincaid, mußte ein gutaussehender Mann gewesen sein, hohe, breite Wangenknochen, eine kräftige Nase und ein ebenso kräftiges Kinn. Über seinen vollen Lippen saß ein gepflegter, rötlich schimmernder Schnauzbart, der auf der fahlen Blässe der Haut seltsam lebendig wirkte.
»Sieht nicht übel aus, der Mann, finden Sie nicht auch, Gemma?«
»Ja, er war wahrscheinlich recht attraktiv ... Möglicherweise allerdings auch ganz schön eingebildet. So wie ich es verstanden habe, war er ein ziemlicher Casanova.«
Kincaid fragte sich, wie Julia Swann damit umgegangen war - sie hatte ihm nicht den Eindruck einer Frau gemacht, die bereit war, brav am heimischen Herd zu sitzen, während ihr Ehemann den Draufgänger spielte. Und er fragte sich weiter, wie weit sein Wunsch, Connor zu sehen, mit dienstlichem Interesse zu tun hatte und wie weit mit persönlicher Neugier.
Mit fragend hochgezogener Braue wandte er sich Mickey zu. »Könnten wir uns den Rest mal ansehen?«
Der junge Mann leistete der Aufforderung wortlos Folge, indem er das Laken ganz herunterzog.
»Er war im Urlaub, aber es scheint schon länger her zu sein«, bemerkte Gemma, als sie die Ränder verblaßter Sonnenbräune an den Oberschenkeln und am Bauch sahen. »Aber vielleicht hat er auch ein Boot und ist damit im Sommer auf der Themse herumgegondelt.«
Kincaid nickte und ahmte dann Mickeys nonverbalen Kommunikationsstil nach, indem er mit einer Hand eine Drehbewegung machte. Mickey schob daraufhin seine beiden behandschuhten Hände unter Connor Swanns Körper und drehte ihn mit scheinbarer Mühelosigkeit herum, wobei er allerdings ein Ächzen nicht ganz unterdrücken konnte.
Breite, sommersprossige Schultern; im Nacken, unter dem Haaransatz, ein blasser Streifen, Zeugnis eines kürzlichen Haarschnitts; ein Muttermal, wo die Schwellung des Gesäßes begann - Trivialitäten, dachte Kincaid, aber alle Beweise für Connor Swanns Einzigartigkeit. Stets trat im Lauf einer Ermittlung dieser Augenblick ein, in dem aus dem Leichnam ein Mensch wurde, eine Person, die vielleicht eine Vorliebe für Gewürzgurken oder alte
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