Deborah Crombie - 03 Und Ruhe in Frieden 04 Kein Grund zur Trauer
haben sie sich natürlich ein wenig voneinander entfernt; aber seit er wieder hier ist, hängen sie fester zusammen als je zuvor.«
Kincaid überlegte, ob die beiden miteinander schliefen - alt genug dafür war Lucy -, aber sein Instinkt sagte nein. Die Atmosphäre von Geoffs Zimmer hatte etwas beinahe Mönchisches gehabt. »Es muß schlimm gewesen sein für Lucy, als er ins Gefängnis kam.«
»Ja. Aber sie haben einander geschrieben. Es war eine schwere Zeit für sie, aber sie hat nie darüber gesprochen. Lucy war immer schon eine kleine Eigenbrödlerin. Sie kommt mit den jungen Leuten in der Schule und im Dorf gut zurecht; sie geht nur nie engere Beziehungen ein. Geoff scheint so etwas wie ihr Anker zu sein.« Sie blickte zum Pub hinüber. Unmerklich war der Abend gekommen, und aus dem Hinterfenster fiel helles Licht. »Ich muß sehen, ob ich Brian irgendwie helfen kann. Er ist bestimmt außer sich vor Sorge.« Sie wollte gehen, doch Kincaid hielt sie am Arm fest.
»Hier können Sie im Moment nichts tun. Brian ist mit Geoff gefahren. Er kann zwar nichts ausrichten, aber er wollte es unbedingt.«
»Das sieht ihm ähnlich.« Im Licht, das aus dem Pub fiel, leuchtete die Bluse zwischen den Revers ihrer Jacke weiß auf. Kincaid sah, wie der Stoff sich hob und senkte, als Claire seufzte. »Und Sie haben natürlich recht. Ich muß mich um mein eigenes Kind kümmern.«
Kincaid saß einen Moment lang da, die Hand am Zündschlüssel, dann ließ er den Motor an, nur um ihn gleich wieder abzustellen und nach seinem Handy zu greifen. Als man ihn mit Deveney verbunden hatte, sagte er: »Fangen Sie nicht ohne mich an, Nick. Ich komme bald.«
Der erste Gast fuhr auf den Parkplatz, als er ihn verließ, aber die Häuser, die sich um den Anger drängten, waren dunkel und still, genau wie der Laden, als er ihn erreichte. Mit Mühe konnte er »Geschlossen« auf dem Schild in der Tür lesen, aber aus den oberen Fenstern stahl sich gelbes Licht durch die Ritzen zwischen den Vorhängen.
Die Treppe war stockfinster, nichts zu sehen, als das weiße Geländer unter seiner Hand, aber er schaffte es bis nach oben und klopfte energisch an Madeleine Wades Tür.
»Sie sollten sich wirklich ein Licht zulegen«, sagte er, als sie ihm öffnete.
»Oh, tut mir leid.« Sie blickte stirnrunzelnd zur Lampe hinauf. »Die muß gerade durchgebrannt sein.« Sie winkte ihn herein und schloß die Tür. »Darf ich annehmen, daß dies kein amtlicher Besuch ist, Superintendent, da Sie nicht in Begleitung Ihrer Lakaien sind?«
Er lachte. »Lakaien?« fragte er, ihr in die Küche folgend.
»Naja, das ist doch ein herrliches Wort, finden Sie nicht? Ich mag Wörter, die was ausdrücken.« Beim Sprechen kramte sie in verschiedenen Schränkchen. »Das Vokabular der meisten Leute ist deprimierend schlecht, meinen Sie nicht auch? Ah, voilà«, rief sie und zog triumphierend einen Korkenzieher aus einer Schublade. »Trinken Sie ein Glas Wein mit mir, Mr. Kincaid? Sainsbury’s hat sich sehr gemausert. Man bekommt dort tatsächlich einen recht anständigen Wein.«
Sie füllte zwei Gläser mit hellem Chardonnay und ging ihm voraus ins Wohnzimmer. Flackerndes Kerzenlicht mischte sich mit dem weichen Schein zweier Tischlampen, und im Hintergrund ertönte leise Musik, die er bei seinem ersten Besuch bewundert hatte.
»Erwarten Sie einen Klienten, Miss Wade?« fragte er, als sie ihm ein Glas reichte.
»Nein, das ist alles nur für mich.« Sie schlüpfte aus ihren Schuhen und zog die Beine aufs Sofa. Die rote Katze sprang zu ihr hinauf und ließ sich an ihrer Seite nieder. »Ich versuche, zu praktizieren, was ich predige«, sagte sie mit einem leisen Lachen, während sie die Katze kraulte. »Streßabbau.«
»Das täte mir auch gut.« Kincaid trank einen Schluck von seinem Wein und behielt ihn einen Moment auf der Zunge, um das Aroma auszukosten - weich und füllig, mit einem Hauch von Eiche wie in einem guten Whisky und darunter etwas sanft Blumiges. Die Wahrnehmung war so intensiv, daß er sich fragte, ob er an einer Art Bewußtseinserweiterung litte.
»Oh, diese köstlichen, flüchtigen Moleküle.« Madeleine Wade schloß die Augen, als sie trank, und sah ihn dann an. Im Kerzenlicht wirkten ihre Augen so grün wie Moos an einem Bachufer. »Was kann ich für Sie tun, Mr. Kincaid?«
Ihm wurde bewußt, daß er in den wenigen Minuten seines Aufenthalts in der Wohnung aufgehört hatte, sie als
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