Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen
möchte nicht in ihren Schuhen stecken.«
»Wenn du mich fragst, drücken die tierisch«, bemerkte Kincaid leise, denn Janice Coppin hatte ihren Funkspruch beendet und begann vom Eingang aus zu ihnen heraufzusteigen.
Als DI Coppin sie schließlich erreichte, mußte sie mehrfach tief Luft holen, bevor sie ein Wort herausbrachte: »Sie sind unterwegs. Was jetzt, Sir?«
»Erzählen Sie mir, was die Polizeiärztin bisher festgestellt hat.« Kincaid zückte sein kleines Notizbuch.
Janice Coppin konsultierte ihre Notizen. »Sie meint, daß das Opfer im Lauf des Abends oder in den frühen Morgenstunden gestorben ist... viel länger kann sie bei diesen hohen Temperaturen nicht tot sein, anderenfalls hätte die Verwesung bereits eingesetzt. Äußere Zeichen von Vergewaltigung waren nicht festzustellen. Allerdings hat sie einen Bluterguß im Halsbereich.«
»Irgendwelche Papiere und so weiter?«
»Nein, Sir. Wir haben weder ihre Handtasche noch Reinigungsetiketten in ihrer Kleidung gefunden.«
»Wer hat die Leiche entdeckt?«
»Ein Rentner, Sir. George Brent. Lebt in der Siedlung unten am Park. Er war mit seinem Hund unterwegs, als er sie am Gebüsch entdeckt hat. Trotzdem wundert es mich, daß nicht schon früher jemand über sie gestolpert ist ... sie lag schließlich wie auf dem Präsentierteller.«
»Hat man diesen Brent schon vernommen?«
Coppin runzelte die Stirn. »Nein, das halte ich für zwecklos. Ich kenne ihn ... ein harmloser, alter Mann. Unwahrscheinlich, daß ihm überhaupt was Wichtiges aufgefallen ist.«
Nach kurzem Schweigen sagte Kincaid ruhig: »Inspector, in diesem Stadium der Ermittlungen wissen wir überhaupt nicht, was relevant sein könnte. Insofern ist alles und nichts wichtig. Ich knöpfe mir Mr. Brent persönlich vor.«
»Aber ...«
»Inzwischen sollten wir umgehend mit den Befragungen der Anwohner beginnen und die mobile Einsatzzentrale aufbauen. Die Identifizierung der Leiche hat absolute Priorität. Und wir sollten die Medien vor unseren Karren spannen.«
Ein zerfetztes Stück Plastik wehte trudelnd über jenen Teil des Supermarkt-Parkplatzes, der durch die Bäume hindurch sichtbar war. Teresa Robbins stand auf ihrem Balkon und dachte an einen Film über das Igelgras in der amerikanischen Wüste, den sie gesehen hatte. Die riesigen Graskugeln waren in ähnlich wilden Wirbeln vom Wind Verblasen worden, beinahe so, als hätten sie ein Eigenleben entwickelt. Die Bewegung dieses Stücks Abfall machte sie ebenso nervös wie der heiße Wind, der sie verursachte.
Trotzdem blieb sie gegen die Eisenbalustrade gelehnt und versuchte, durch die Bäume hindurchzusehen. Der erste Polizeiwagen war am frühen Vormittag eingetroffen, während sie Wäsche auf ihrer Hälfte des schmalen Betonbalkons aufgehängt hatte. Jetzt stand hinter der Tankstelle in einem vagen Halbkreis eine ganze Ansammlung von Autos. Nicht zu wissen, was los war, beunruhigte sie. Trotzdem konnte sie sich nicht dazu überwinden, sich zu den Schaulustigen auf dem Parkplatz zu gesellen.
Ein lautes Plumpsen von nebenan warnte sie, daß ihr Nachbar aufgestanden und ihre beschauliche Zeit auf dem Balkon damit begrenzt war. Teresa schätzte ihre ruhigen Morgenstunden auf dem Balkon, besonders an Samstagen, wenn sie Zeit hatte, ihre Geranien und Petunien zu pflegen. Die Abende gehörten ihm. Dann frönte er seiner Vorliebe für Heavy-Metal-Musik und Bier im Sechserpack und heizte ihren stillen Grabenkampf an, indem er Zigarettenkippen in ihre Blumentöpfe warf, die sie dann am darauffolgenden Morgen aufsammeln mußte. Sie wußte, daß sie ihm hätte die Meinung sagen müssen, aber es war ihr von jeher schwergefallen, sich anderen Menschen gegenüber zu behaupten. Im Gegensatz zu Annabelle.
Auch wenn sie sich in diesem Punkt in den fünf Jahren, die sie jetzt für Annabelle Hammond arbeitete, schon sehr gebessert hatte. Annabelle war einfach nie auf die Idee gekommen, sie könne nicht bekommen, was sie haben wollte; ob beruflich oder privat spielte dabei keine Rolle. Und Teresa hatte oft stumm und interessiert beobachtet, wie ihre Chefin in eine Besprechung mit ahnungslosen Managern gerauscht war, die nicht einsehen wollten, warum sie eine Frau ernst nehmen sollten. Bevor sie jedoch angesichts von Annabelles Schönheit aus ihrer Verzauberung aufgewacht waren, hatte diese ihre Unterschriften unter die relevanten Papiere bereits in der Tasche.
Obwohl Teresa
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