Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen
eine fadenscheinige Ausrede vor. Sie hätte den Besuch schließlich ohne weiteres verschieben können.
Hazel schonte sie nicht. »Wem bist du denn eigentlich böse? Ihm oder ihr?«
»Ihr natürlich«, entgegnete Gemma. »Ich finde, sie hat wirklich Nerven. Nach allem, was sie ihm angetan hat.« Sie hob die Tasse an die Lippen und hielt inne, als sie Hazels Ausdruck sah. »Ja, schon gut. Ich bin wütend auf ihn, wenn du’s unbedingt wissen willst. Er hat sich so gemein benommen. Er hat behauptet, ich rede von Dingen, die ich nicht verstehe - und die mich auch nichts angehen. Nicht wörtlich natürlich, aber es war deutlich genug.«
Hazel aß ein Stück Strudel. »Was weißt du eigentlich über Duncans Ehe?«
Gemma zuckte die Achseln. »Nur, daß sie ihn aus heiterem Himmel und ohne ein Wort verlassen hat.«
»Und der Grund? Hat er das gesagt?«
»Angeblich, weil er sie über seiner Arbeit vernachlässigt hat«, erwiderte Gemma zögernd.
»Wenn er dieser - wie hieß sie doch? Victoria? - nicht die Schuld gibt, warum tust du es dann? Kann dir doch nur recht sein, daß sie ihn verlassen hat, oder?« Hazel grinste verschmitzt. »Sonst hättest du echte Konkurrenz.«
»Stimmt. Du hast recht.« Gemma schob die Kaffeetasse von sich. »Könnten wir die Flasche Wein vielleicht doch noch aufmachen?« Sie sah zu, wie Hazel die Flasche aus dem Kühlschrank nahm.
»Was ist denn dann so kompliziert?« Hazel stellte Flasche und zwei Gläser auf den Tisch. »Warum fühlst du dich durch seine Beziehung zu Victoria bedroht?«
»Vic. Er nennt sie immer Vic.«
»Also dann Vic.«
»Ich fühle mich nicht bedroht«, protestierte Gemma. »Ich bin auch nicht eifersüchtig. Ich behaupte schließlich nicht, daß er sich an jede Frau ranmacht, die ihm über den Weg läuft.« Sie nahm das Glas, das Hazel ihr reichte. »Es ist nur ... Ich weiß einfach nicht, was zwischen den beiden ist.«
»Warum fragst du ihn nicht? Sag ihm, daß dich die Situation beunruhigt.«
»Das kann ich nicht.« Gemma hatte sich am Wein verschluckt und hustete, bis ihre Augen tränten. Als sie wieder sprechen konnte, fügte sie hinzu: »Schließlich habe ich darauf bestanden, daß wir uns gegenseitig unsere Freiheit lassen. Ich hatte Angst, in einer Beziehung zu ersticken. Und nachdem er sich so mies benommen hat, wie hätte ich da was sagen sollen?«
»Könnte es nicht sein, daß er so wortkarg war, weil er Angst vor deiner Reaktion hatte?« gab Hazel zu bedenken. »Und ich schätze, seine Befürchtungen haben sich bewahrheitet. Dafür hast du gesorgt. Reichlich sogar.«
»Leugnen hätte keinen Zweck«, bemerkte Gemma zerknirscht. »Ich war schon das ganze Wochenende auf hundertachtzig. Heute abend habe ich dann bei der erstbesten Gelegenheit einen Streit vom Zaun gebrochen. Manchmal wünschte ich, ich wäre stumm auf die Welt gekommen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Was soll ich jetzt nur machen?«
»Zu Kreuze kriechen?« Hazel lächelte amüsiert. »Darf ich dir einen Tip geben? Vergiß deinen Ex-Mann. Nur dieses eine Mal. Überwinde deine Abneigung gegen vermeintliche Zwänge. Deine berufliche Zusammenarbeit mit Duncan funktioniert doch nur so gut, weil ihr miteinander redet.« Sie stieß Gemma den Zeigefinger in die Brust. »Warum übertragt ihr das nicht auf euer Privatleben? Wie lange spielst du jetzt schon das blödsinnige Spiel >Wer an eine Beziehung Ansprüche stellt, hat verloren Seit November? Am Anfang war das ganz in Ordnung. Aber in einer Beziehung dreht sich alles um Ansprüche, Pflichten und Verpflichtungen. Und wenn eure Beziehung von Dauer sein soll, dann muß einer von euch mal etwas zulegen.«
Das Gewitter war vorbei. Zurück blieb kühle, gereinigte Luft. Vic zog den Gürtel ihres Morgenmantels enger und trat von der Terrasse in den dunklen Garten, so daß sie ungehindert zu den Sternen aufsehen konnte. Sie hatte die Sternbilder nie auseinanderhalten gelernt. Während sie jetzt zum Himmel aufsah, hatte sie plötzlich das Bedürfnis, die einzelnen Sternkonstellationen bei ihren Namen nennen, sie mit den Strichzeichnungen in Verbindung bringen zu können, die sie als Kind gesehen hatte. Vielleicht sollte sie Kit eine jener in der Dunkelheit leuchtenden Sternenkalender kaufen, die sie in der Buchhandlung in Cambridge gesehen hatte. Dann konnten sie es gemeinsam lernen.
Armer Kit, dachte sie wehmütig. Seit Ian sie verlassen hatte, hatten es sich ihre
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