Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen
senil, weißt du«, murmelte er pampig, um seine Unsicherheit zu verbergen.
»Selbstverständlich nicht«, stimmte Janice ihm zu. »Und ich habe dir nicht viel zugetraut, stimmt’s? Dabei bist du ganz schön auf der Höhe, wenn’s darum geht, sich an Dinge zu erinnern, Einzelheiten zu bemerken.«
»Möchtest du eine Tasse Tee, Mädel?« fragte er und dachte, daß Janice Coppin vielleicht doch nicht so übel war, wie er angenommen hatte.
»Wäre riesig.«
Er stellte Wasser auf und öffnete eine Schachtel Kekse, die er speziell für Mrs. Singh gekauft hatte.
Nachdem er Janice Tee und Kekse serviert hatte, sagte sie: »Ich habe mir gedacht, George ... wenn du vielleicht nicht sagen willst, wo du die Frau gesehen hast, dann deshalb, weil sie vermutlich in Begleitung von jemandem gewesen ist, den du kennst... und den du nicht in Schwierigkeiten bringen willst. Aber wenn wir ihren Mörder schnappen sollen, dann müssen wir alles über sie wissen.«
George begegnete ihrem Blick, sah weg, fummelte mit dem Geschirrtuch herum, mit dem er den verschütteten Tee von ihrer Untertasse gewischt hatte. »Du bist eine Insulanerin, Mädel. Du weißt, wie es hier ist ... obwohl du die besten Jahre, die Zeiten vor dem Krieg, gar nicht erlebt hast.«
»Meine Mutter sagt, daß sie als Mädchen alle hier gekannt hat. Alle Nachbarn ...«
»War schwierig damals, in die Bredouille zu kommen«, stimmte George ihr lächelnd zu. »Irgendjemand hat dich immer rausgepaukt. An schönen Tagen haben wir auf den Straßen gespielt... Murmeln und mit Reifen ..., ganz andere Spiele als die Kinder heute.«
Wenn er die Augen zumachte, konnte er alles so deutlich sehen, als sei es erst gestern gewesen. »Die Mädels hatten bunte Papierstreifen an ihren Oberteilen befestigt, und sie sahen so hübsch aus, wenn sie sich gedreht haben ... Und wir haben alle zusammen Cricket gespielt, Mädels und Jungs, während die Erwachsenen zugeschaut und getratscht haben ...«Er schlug die Augen auf und sah, daß Janice ihn aufmerksam beobachtete. »Damals habe ich ihn gekannt. Er war noch ein kleiner Junge, und ich schon ein Teenager. Wer hätte damals gedacht, daß es so kommen würde, wie’s gekommen ist?«
»Wie meinst du das?«
»Der Krieg, seine Familie ...« George seufzte und schüttelte den Kopf. »Aber er ist zurückgekommen, und das habe ich ihm immer hoch angerechnet. Er hat nie vergessen, woher er stammt und welche Verpflichtungen er hat. Und er hatte immer ein freundliches Wort und ein Glas Bier in der Kneipe für mich übrig.«
Janice hielt ihre Tasse bewegungslos in beiden Händen. »Wer, George?«
»Lewis Finch«, gab er zögernd zu.
»Du hast Annabelle Hammond mit Lewis Finch gesehen?«
»Hieß sie so? Hammond wie Hammond’s Teas?«
»Genau. Die Firma gehört ihrer Familie. Sie hat sie geleitet. Wo hast du die beiden gesehen?«
George faltete sein Geschirrtuch zusammen. »Einmal sind sie aus dem indischen Restaurant am Ende der Straße gekommen. Er hat sie am Arm gehalten ... ganz freundschaftlich, und sie hat gelacht. Man konnte sie kaum übersehen. Und dann einmal im Waterman’s Arms, und in seinem Mercedes. Die Fenster waren getönt, aber man hat genau gesehen, daß sie’s war.«
»Erst kürzlich?«
»In der Kneipe - vor ungefähr einem Monat. Draußen vor dem Restaurant - da bin ich nicht sicher. Weiß nur, daß es genieselt hat. Könnte im Herbst gewesen sein.«
»Und das eine Mal im Wagen?«
»War nur ein kurzer Augenblick, als ich Sheba Gassi geführt habe. Bedeutet nicht, daß er was mit ihr hatte.«
»Nein. Aber wir müssen trotzdem mit ihm darüber reden«, warf Janice ein, und George dachte, daß sie diese Aussicht auch nicht glücklicher machte als ihn seine Aussage.
Sie trank ihren Tee aus und stand auf. »Danke, George. Ich lasse dich jetzt lieber dein Essen weiter vorbereiten.«
George dachte unglücklich an die inzwischen sicher zu Chips gerösteten Kartoffeln im Ofen und die kalten Koteletts auf dem Herd und brachte sie zur Tür.
Auf dem Gartenweg drehte sie sich um und grinste frech.
»Übrigens, George - tut mir leid, das mit dem Abschlußball. Sag das doch bei Gelegenheit mal deinem Georgie, ja?«
Gordon Finch stand am Fenster seiner Wohnung im ersten Stock und sah auf die East Ferry Road hinaus. Eine kühle Brise bewegte die dünnen Vorhänge. Die Straßenlaternen waren angegangen, und auf der
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