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Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen

Titel: Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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gegenüberliegenden Seite hatten die Bowlspieler ihr Spiel im Millwall Park aufgegeben und sich in die Kneipe zurückgezogen.
      Alles war so normal, so alltäglich. Einen Moment klammerte er sich an den Gedanken, daß er sich nur umdrehen mußte, damit das Leben so weiterging wie bisher. Annabelle würde dann nackt an der Spüle in seiner Küche stehen, sich die Zähne putzen, und dabei mit einer Hand die Masse ihres Haars zurückhalten, damit es nicht naß würde. Sie würde sich Vorbeugen, und das schräg einfallende Licht würde die sanfte Rundung ihrer Hüfte beleuchten. Und wenn sie sich aufrichtete, würden die Schatten weiterwandern und spielerisch wie die Hand eines Liebenden über ihre Haut gleiten.
      Von Anfang an hatte sie ihre Kleidungsstücke überall verstreut, sobald sie seine Wohnung betreten hatte, hatte ihre teuren Kostüme nachlässig über Stühle geworfen und auf dem Fußboden liegenlassen. Manchmal, an kühleren Tagen, war sie in einen Seidenkimono geschlüpft, den er auf einem Straßenmarkt erstanden hatte. Fasziniert von den schönen Farben der alten Seide hatte er ihn spontan gekauft. Es war das einzige Geschenk, das er ihr je gemacht hatte, und er hing seither an einem Haken hinter der Badezimmertür.
      Dann erinnerte er sich wieder, wie die goldenen und rostroten Falten des Kleidungsstücks auseinandergefallen waren und ein Stück von Annabelles cremefarbener Haut freigegeben hatten, als sie sich an seinen kleinen Tisch gesetzt und Essen von einem indischen Take-away-Restaurant mit einer Plastikgabel gegessen hatte. Die Kerzen, die er auf Teller gestellt hatte, hatten zwischen ihnen geknistert und gequalmt. Lachend hatte sie ihn einen Barbaren genannt, doch als er sie gedrängt hatte, ihn zu einem anständigen Essen in ihre Wohnung einzuladen, hatte sie abgelehnt.
      Sie war bereits monatelang zu ihm gekommen, bevor er ihren Namen erfuhr, und selbst danach hatte sie nie von sich gesprochen. Nur durch einen Zufall hatte er sie eines Tages aus der Wohnung in der Ferry Street kommen sehen und erfahren, daß sie am anderen Ende der Straße wohnte ... nur wenige Blocks weit entfernt und doch in einer völlig anderen Welt.
      Nicht daß er die Bestätigung überhaupt gebraucht hätte, daß Annabelle Hammond alles verkörperte, was er verachtete, daß sie eine jener Privilegierten war, die sich alles nehmen, ohne an die zu denken, die sie dabei einfach beiseite schieben. Warum hatte er nur angenommen, er könne ausnahmsweise unbeschadet bleiben?
      Einmal, als sie sich rittlings auf seinem schmalen Bett auf ihn gesetzt hatte, hatte sie seine Klarinette zwischen ihren Brüsten gehalten und ihn gefragt, ob er das Instrument für sie aufgeben würde. »Sei nicht blöd«, hatte er geantwortet, aber für einen Moment hatte sich der Abgrund ihrer Besessenheit vor ihm aufgetan.
      Was alles hätte er erst für sie getan, fragte er sich, wenn er ihren Verrat nicht entdeckt hätte?
     
     

* 8
     
    Die Bevölkerungsdichte des »Island« erreichte um die Jahrhundertwende mit 21000 Personen ihren Höchststand ... Die grünen Felder hatten Docks, Lagerhäusern, Fabriken, Wohnhäusern und Straßen Platz gemacht. In den vorwiegend der Arbeiterklasse vorbehaltenen Siedlungenfanden junge Leute einen Arbeitsplatz, heirateten und schufen sich so unweit ihrer Eltern ein Zuhause.
     
      Eve Hostettler, aus: Erinnerungen an eine Kindheit
      
    Mitte der achtziger Jahre hatte Lewis Finch dem Blick auf das Millwall Dock vor der Aussicht auf den Fluß den Vorrang gegeben, und tatsächlich war sein Wohnkomplex einer der ersten bei der Neuerschließung der Docklands gewesen, ein Projekt mit mäßigen Mietsteigerungen und moderaten Mieten. Obwohl er seither zahlreiche Kaufangebote erhalten hatte und er jederzeit in eines seiner moderneren und spektakuläreren Objekte am Flußufer hätte ziehen können, liebte er die Kleinräumigkeit der Anlage und die Nähe zu den Nachbarn, die er alle mit Namen kannte. Davon abgesehen war ihm klargeworden, daß er Veränderungen dieser Art haßte.
      Gleichermaßen unbeliebt war bei ihm das Reisen. Daher genoß er nach seiner Rückkehr am späten Vorabend von einer Wochenendkonferenz den montäglichen Alltagstrott um so mehr.
      Dusche, Rasur, Anziehen ... und anschließend machte er es sich bei einer Kanne Kaffee, einem Berg Toast und mit einem Stapel Zeitungen auf seinem winzigen Balkon gegenüber dem Dock gemütlich.
      Während er einen Toast mit Butter

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