Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen
Millers bleiben ... so lieb es auch war, daß sie ihn während des Schuljahres bei sich aufgenommen haben.«
»Was hört man von Ian McClellan?«
Vics Exmann war gerade so lange nach Cambridge gekommen, um Kincaids Arrangement für Kit gutzuheißen, bevor er mit fliegenden Fahnen zu seiner Geliebten nach Frankreich zurückgekehrt war. »Keinen Piep. Schätze, er genießt den Süden Frankreichs mit seiner Examensstudentin. Aber Kit hat die Hoffnung nicht aufgegeben, daß Ian ihn zu sich holt.« Kincaid schüttelte den Kopf. »Ich dachte, wenn Kit erfährt, daß nicht Ian sondern ich sein Vater bin, würde das Ians Verrat ihm gegenüber erträglicher machen.«
»Mit der Zeit mag das so sein. Aber du verlangst von Kit, daß er dir einfach glaubt, ohne daß du etwas beweisen kannst.«
Er dachte an den Tag von Vics Beerdigung, als seine Mutter ihn beiseite genommen und ihm gesagt hatte, er sei blind, die Ähnlichkeit des Jungen mit ihm nicht gesehen oder die Monate zwischen seiner Trennung von Vic und Kits Geburt nicht gezählt zu haben. Seine erste Reaktion war Ablehnung gewesen; die zweite, Panik; erst die Angst, Kit ganz zu verlieren, hatte ihn erkennen lassen, wie sehr er sich wünschte, daß es die Wahrheit war.
Im Haus ging in der Küche das Licht an, und er hörte das Klappern von Geschirr durch das offene Fenster. »Kit hat noch mehr zu verdauen als die Tatsache, daß er mein Sohn ist«, sagte er langsam. »Er gibt mir die Schuld an Vics Tod.«
»Duncan, Kit ist ein Kind. Er hat keine andere Möglichkeit, das zu erklären, was mit ihm passiert ist, bis der Prozeß ...«
»Das ist kaum eine Hilfe. Es kann zwei Jahre dauern, bis Vics Mörder vor Gericht gestellt wird. Und wenn Kit recht hat ... wenn ich bei Vic versagt habe ...?«
Hazel beugte sich vor, so daß der Lichtschein aus der Küche auf ihr Gesicht fiel. »Du weißt, daß das absurd ist«, entgegnete sie energisch. »Du hast für Vic alles getan, was du tun konntest.«
Hatte er das? Seit Vics Tod hatte er sich davon zu überzeugen versucht, aber mittlerweile hatten die nagenden Zweifel die Oberhand gewonnen. »Wichtig ist jetzt nur Kit«, sagte er schließlich und verdrängte die Gedanken. »Wie kann ich wiedergutmachen, was ich angerichtet habe?«
Hazel musterte ihn prüfend. »Das wichtigste ist, daß du ihn nicht aufgibst. Zeig ihm, daß du ihn nicht zurückweist, egal, wie er sich benimmt.« Nach kurzem Nachdenken fügte sie hinzu: »Ich glaube, er stellt dich auf die Probe ... und schützt sich. Wenn er dich jetzt von sich stößt, muß er sich später keine Sorgen machen, daß du wegläufst und ihn bei der ersten Gelegenheit allein läßt, wenn er sich als ein schlechter Sohn erweist.«
»So wie Ian es getan hat.«
»Ja. Wenn du ein Versprechen nicht einhalten kannst, dann mach es irgendwie wieder gut, und zwar so schnell wie möglich. Ist die einzige Methode, ihm beizubringen, daß er dir vertrauen kann. Und, Duncan ... hab Geduld mit ihm.«
»Geduld scheint im Augenblick nicht meine Stärke zu sein.« Kincaid fühlte sich plötzlich erschöpft und ausgelaugt. Der Adrenalinschub, der ihn während der Auseinandersetzung mit Kit aufrecht gehalten hatte, war verpufft. Nur mit Mühe trank er sein Glas Limonade aus und stand auf. Er sah durch den Garten. Hinter Gemmas Fenstern brannte noch immer kein Licht.
»Willst du nicht warten?« fragte Hazel. »Ich habe eine Quiche im Kühlschrank, und der Weißwein ist kalt gestellt.«
Kincaid zögerte, dann schüttelte er den Kopf. »Ich glaube, ich brauche heute abend Zeit für mich allein. Trotzdem, danke, Hazel. Richtest du Gemma aus, daß ich hiergewesen bin?«
»Natürlich.« Hazel stand auf und umarmte ihn kurz. »Mal sehen, ob ich mit einer halben Stunde Winnie the Pooh bei Holly einiges wieder ins Lot bringen kann.«
Wenn es nur so einfach wäre, dachte Kincaid, als er durch die Gartentür ging und den Rover aufschloß. Aber er und Kit hatten keine tröstenden Rituale, um die ersten Risse in ihrer Beziehung zu kitten.
Als die Innenbeleuchtung des Wagens aufflammte, entdeckte er, daß das offene Handschuhfach nur ein paar Pfefferminzbonbons und Münzen enthielt. Dabei war er sicher, daß Kit das alte Foto dort hineingelegt hatte; jenes Bild, das seine Mutter von dem elfjährigen Duncan in Pfadfinderuniform mit dem zahnlückigen Lächeln geschickt hatte.
Als die Suche zwischen den Sitzen und auf dem Fußboden
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