Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen
doch seinen Kindern schaden.«
Reg zerrte an seiner Krawatte, als bekäme er nicht genug Luft. »Du kennst den Mann nicht. Und du weißt nicht, wie seine Gefühle für ...« Er schüttelte den Kopf.
»Was für Gefühle und für wen, Reg?«
»Ach nichts. Er ist eben doch ein Dreckskerl. Das ist alles.« Schweißflecken zeichneten sich auf seinem gestärkten, hellblauen Hemd ab. Er war am Morgen wie immer elegant und tadellos gekleidet im Büro erschienen, doch im Lauf des Tages hatte die Atmosphäre des Speichers ganz offensichtlich auch von ihm seinen Tribut gefordert.
Teresa war schon früh dagewesen und hatte es übernommen, dem Personal der Verkaufs- und der Produktionsabteilung die Nachricht von Annabelles Tod zu überbringen. Sie hatte es irgendwie hinter sich gebracht, ohne die Beherrschung zu verlieren. Seitdem versuchten alle verzweifelt, Alltäglichkeit vorzutäuschen. Erst als sie sich in dem großen Büro eingeschlossen hatte, das sie mit Annabelle geteilt hatte, war die Fassade von ihr abgefallen. Mittlerweile allerdings, da sie auch diesen Weinkrampf überwunden hatte, fühlte sie sich ihren Aufgaben wieder einigermaßen gewachsen.
»Martin macht von seinem Stimmrecht vielleicht gar keinen Gebrauch«, versuchte Reg, sie weiter zu beruhigen. »Schließlich hat er vom Teegeschäft keine Ahnung.«
»Herrgott, der Mann ist Banker ... er weiß über Finanzen Bescheid. Und er wird schnell begreifen, daß es in seiner Macht liegt, auf jede Entscheidung des Verwaltungsrates Einfluß zu nehmen.« Reg umklammerte die Kante seines Schreibtischs, als suche er Halt.
»Um eine Abstimmung zu beeinflussen, muß er einen der anderen Anteilseigner auf seine Seite ziehen. Annabelle hat gesagt, daß er und Jo sich nicht grün sind, und ich kann nicht glauben, daß dein Vater oder William ...«
»Du weißt, was wir tun müssen. Und vielleicht gelingt uns der Coup ... es sei denn, der verdammte Martin Lowell mischt sich ein.«
»Du hast doch nicht etwa vor, unseren Plan jetzt deinem Vater vorzulegen, da Annabelle ...« Teresa schluckte schwer.
»Wir haben gar keine andere Wahl.« Reg stand bewegungslos da, an die Schreibtischkante geklammert, und sah durch eine Haarsträhne zu ihr auf, die ihm über die Augen fiel.
Während Teresa ihn betrachtete, versuchte sie, das tröstliche, angenehme Gefühl wieder wachzurufen, das sie am Vortag in seinen Armen empfunden hatte. Von dem Reg Mortimer, den sie gekannt hatte, schien nicht mehr viel übrig zu sein. Und zum ersten Mal beschlich sie so etwas wie Angst. »Laß uns einfach noch damit warten. Es wird schon alles gut«, fügte sie hinzu und versuchte damit, sowohl ihn als auch sich selbst zu beruhigen.
»Wirklich?« Er strich sich mit zitternder Hand das Haar zurück. »Ich wünschte, ich hätte deine Zuversicht, Teresa.« Er nahm sein Jackett vom Haken an der Tür. Sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt. Feine gerötete Äderchen durchzogen das Weiß seiner Augen. »Annabelle hat dich gar nicht verdient«, sagte er leise. »Und ich auch nicht.« Teresa spürte einen kühlen Luftzug, als die Tür hinter ihm zufiel.
Sie trat auf die Galerie hinaus, blieb stehen und starrte noch lange nachdem er durch den Vordereingang verschwunden war in den Speicher hinunter. Als Superintendent Kincaid wenige Minuten später anrief, mußte sie ihm sagen, daß sie keine Ahnung habe, wo Reg Mortimer zu erreichen sei.
Gemma stand auf der schmalen Straße vor Jo Lowells Haus und sah Kincaid fragend an, als dieser die Antenne seines Mobiltelefons einschob.
»Kein Glück«, berichtete er. »Mortimer hat sein Büro vorübergehend verlassen. Wir versuchend weiter.«
Gemma warf einen Blick auf die Uhr. »Wir haben noch Zeit ... bis zu unserer Verabredung mit Lewis Finch. Ich finde, wir sollten mit William Hammond reden, da wir schon mal in der Gegend sind.« Sie blickte zu dem Haus hinüber, das sich über ihnen an den Hang duckte. Seine wasserblaue Tür schimmerte durch das Blätterwerk der Bäume. »Ich möchte wissen, was er über die Finchs zu sagen hat. Und über Martin Lowells unverhofftes Erbe.«
»Zäumen wir nicht das Pferd von hinten auf? Wir haben noch nicht mit Lowell gesprochen.«
»Auf dem Rückweg nach Greenwich kommen wir sowieso an seiner Bank vorbei.«
»Also, besuchen wir erst mal Mr. Hammond.« Kincaid ging über die Straße voraus und stieg die Treppe am Hang
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