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Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen

Titel: Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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Wahrheit wissen, bevor ich mit seinem Vater rede. Ich rufe Sie gleich danach an.« Sie verdrängte die Gedanken an die Mißstimmung zwischen ihr und Kincaid, die ihr eigenmächtiger Besuch bei Gordon ausgelöst hatte, winkte Janice zum Abschied zu und ging.
     
    Gemma ließ ihren Wagen auf dem Parkplatz des Limehouse-Reviers stehen, ging die kurze Strecke zur West India Dock Road zu Fuß und nahm den Zug ab der Haltestelle West Ferry. Sie hatte plötzlich das Bedürfnis, das »Island« aus der erhöhten Perspektive der Bahntrasse zu sehen, und der Gedanke daran, daß sich ihr Auto in der Mittagshitze mittlerweile in einen glühenden Backofen verwandelt hatte, machte die Bahnfahrt noch verlockender. Wie schon am Vortag hatten sich mit fortschreitender Tageszeit Wolken am Himmel aufgetürmt, und die ganze Stadt hoffte auf die Erlösung aus dem Schwitzkasten durch ein Gewitter.
      Als der Zug in die Canary Wharf Station einfuhr, sah Gemma zum gläsernen Gewölbedach des Terminals auf und dachte über das »Island« nach. Die Architektur des Bahnhofsgebäudes war eine Mischung aus dem Stil der Viktorianischen Zeit und kühnen, modernen Akzenten. Und die Canary Wharf selbst war Ausdruck jenes Optimismus und Opportunismus, der schon die Baumeister der Viktorianischen Epoche bei der Planung der großen Docks bewegt hatte.
      Wenn Fortschritt unvermeidbar war, dann schien es, als habe Lewis Finch das Menschenmögliche getan, um die Gebäude zu retten, indem er sie neuen Bestimmungen zuführte, während Gordon danach strebte, die einzigartige soziale Struktur der Isle of Dog zu bewahren. Ihrer Ansicht nach war es eine Schande, daß Vater und Sohn nicht in der Lage waren, einen Kompromiß zu finden.
      Der Zug machte hinter dem Mittelteil der West India Docks eine scharfe Linkskurve und hielt an der South Quay Station, wo der Schaden noch immer sichtbar war, den eine IRA-Bombe, die hier auf dem Parkplatz detoniert war, angerichtet hatte. Dann wandte sich der Zug erneut nach rechts und fuhr parallel zum Millwall Dock weiter. Rechts davon tauchte die London Arena auf, an die sich linker Hand Teresa Robbins’ Wohnblock und der ASDA-Supermarkt anschloß. Dahinter erhoben sich die steilen Ausläufer des Mudchute Parks und die hohen Bretterzäune, die die Bauarbeiten an der Mudchute Station verdeckten.
      Nach Mudchute tauchte der Zug urplötzlich in offene Landschaft ein. Er durchquerte den riesigen Millwall Park auf dem alten Millwall Viadukt. Sie erkannte flüchtig die East Ferry Road und den Bowlingrasen, eingebettet in das Docklands Settlement, die Siedlung des sozialen Wohnungsbaus. Dann überquerten sie die Manchester Road und fuhren in die Island Gardens Station ein.
      Nachdem sie ausgestiegen war, stand sie einen Moment auf dem erhöhten Bahnsteig, sah auf Annabelles Apartmentgebäude hinunter und nach links, wo sie den Eingang zum Fußgängertunnel verborgen hinter den Bäumen von Island Gardens wußte. Gemma verspürte plötzlich das Bedürfnis, sich die Geographie dieses Falls und der Ereignisse einzuprägen, die zu Annabelle Hammonds Tod geführt hatten. Dann lief sie die Wendeltreppe hinunter und machte sich auf die Suche nach Gordon Finch.
      Als erstes versuchte sie es im Park in der Nähe des Tunnels, doch der Platz unter der Platane war leer. Im Tunnel selbst hatte sich der wenig begabte Gitarrenspieler breitgemacht, was Gemma erneut zu der Frage verleitete, wie dieser es schaffte, seinen Unterhalt als Straßenmusiker zu verdienen. Sie warf aus Mitleid einige Münzen in seinen Gitarrenkasten, wandte sich ab und stieg wieder zurück ins Sonnenlicht.
      Beim Verlassen des Tunnels wandte sie sich nach rechts in die Ferry Street in der Nähe von Annabelles Wohnung und folgte ihr, bis diese eine scharfe Rechtskurve am Ferry House Pub machte - das war die Wegstrecke, die Reg Mortimer angeblich am Abend vor Annabelles Tod gegangen war. An der Manchester Road wurde die Ferry Street zur East Ferry Road, und wenige Schritte weiter stand sie vor Gordon Finchs Wohnung. Wie einfach, dachte Gemma. Annabelle konnte den Tunnel verlassen haben und entweder zum Lokal oder zu Gordons Wohnung gegangen sein. Plötzlich fragte sie sich, wo Lewis Finch eigentlich wohnte. Gordon hatte behauptet, sein Vater sei zurück auf das »Island« gezogen ... vielleicht in die Nähe seines Büros? Sie nahm sich vor, auf dem Revier die Adresse nachzuschlagen.
      Heute drang kein Klarinettenton durch die offenen Fenster der Wohnung.

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