Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen
messen da Geschichten Bedeutung zu, die nie eine hatten, Sergeant.«
Gemma wich seinem Blick nicht aus. »Also gut. Versuchen wir’s andersherum. All diese Fragen, die Annabelle Ihnen bezüglich Ihrer Familie angeblich gestellt hat... bezogen sich einige davon auf die Geschäfte Ihres Vaters?«
»Schätze schon. Aber das wäre mir nicht besonders aufgefallen. Die meisten Leute sind neugierig, was meinen Vater betrifft.«
»Und Sie haben sich nie gefragt - als sie den Kontakt mit Ihnen suchte und Sie verführte -, ob sie nicht unterschwellig ein bestimmtes Motiv gehabt hat?«
»Wollen Sie damit sagen, daß sie eines gebraucht hätte?« Seine Augen blickten sie herausfordernd an.
Gemma fühlte, wie sie rot wurde. »Ich glaube, Sie haben von der Affäre zwischen Annabelle und Ihrem Vater gewußt. Ich glaube, Sie wußten vom Interesse Ihres Vaters an dem Speicher. Und ich glaube, Sie haben mich von Anfang an belogen ... was Ihre Gefühle für Annabelle betraf. Sie hat Sie geliebt. Das hat sie Ihnen an jenem Abend gesagt, stimmt’s?«
Gordons Fingerknöchel, die den Henkel des Kaffeebechers umschlossen, wurden weiß. Mit gefährlich ruhiger Stimme sagte er: »Sie wissen überhaupt nichts. Bei Annabelle ging es nie um Liebe. Es ging immer nur um Macht. Ich bin nicht blöd, Gemma. Und ich war nur gewillt, mich eine bestimmte Zeit lang benutzen zu lassen.«
»Sie haben die Beziehung zu ihr abgebrochen, weil Sie herausbekommen hatten, daß sie mit Ihrem Vater schläft. Sie haben sie geliebt. Und Sie haben nie aufgehört, sie zu lieben. Trotzdem wollten Sie ihr das nicht verzeihen.«
»Ihr verzeihen?« Gordon stieß seinen Stuhl zurück, schüttelte eine Zigarette aus dem Päckchen auf der Küchentheke und zündete mit einer wütenden Handbewegung ein Streichholz an. »Warum hätte ich ihr überhaupt glauben sollen? Und welchen Unterschied hätte es schon gemacht, wenn ich’s getan hätte? Können Sie sich vorstellen, wie eine öffentlich bekannte Beziehung zu Annabelle Hammond ausgesehen hätte? Glauben Sie, ich hätte mich einer Tauglichkeitsprüfung ihrer Familie unterzogen? Daß ich mich in Jackett und Krawatte dazu korrumpieren lasse, als Lakai im Familienunternehmen eine gute Figur zu machen?«
Gemma stand so hastig auf, daß ihr Stuhl wackelte. »Sie haben mich angelogen. Und ich habe für Sie auch noch meinen Ruf aufs Spiel gesetzt!«
»Ach, darum geht es Ihnen? Um Ihre berufliche Glaubwürdigkeit?« Sein Gesicht war nur noch Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt. »Alles Quatsch! Ich bin schon früher von der Polizei vernommen worden, und die haben nicht mit mir im Park getanzt oder sind allein in meine Wohnung gekommen. Wenn Sie wollen, daß ich ehrlich mit Ihnen bin, Gemma, seien Sie erst mal ehrlich zu mir. Und dann sagen Sie mir ins Gesicht, daß es nicht um Sie und um mich geht!«
»Ich ... Sie ...« Gemma konnte den Blick nicht von ihm wenden. Und zu ihrem Entsetzen begann sie zu zittern.
»Das bringen Sie nicht über sich, stimmt’s?« Er brüllte beinahe. Dann warf er seine angerauchte Zigarette in seinen Kaffee. Sam öffnete die Augen und sah zu ihnen auf. Er hatte die Stirn in Falten gelegt. »Werfen Sie mir bloß keine Unaufrichtigkeiten vor, solange Sie das nicht zugeben wollen.«
»Also gut! Verdammt noch mal!« Gemma wurde ebenfalls laut. »Es geht nicht um meine Glaubwürdigkeit. Es geht nicht um den Job. Es geht darum, was zwischen uns ist ... was immer das auch sein mag ...«
Gordon packte sie grob bei den Schultern. Seine Fingerkuppen schienen sich in ihre nackte Haut einzubrennen.
In einem Augenblick erschreckender Klarheit erkannte Gemma, daß seine blonden Augenwimpern an den Wurzeln dunkler waren, daß er unter einer Augenbraue eine kleine Narbe und daß er eine scharfe Falte in der Unterlippe hatte. Sein Atem roch nach Zahnpasta, Kaffee und Nikotin, und sie atmete den strengen Geruch seiner Haut ein, der noch vom Schlafen stammte. Ihr Blick schweifte zum zerwühlten Bett, und plötzlich sah sie Annabelle dort, ihr makelloser Körper nackt, das rote Haar um sich ausgebreitet ... und dann sah sie sich selbst dort mit ihm ...
Ein Telefon meldete sich schrill irgendwo in der Nähe. Gemma fuhr zusammen, ihr Herz klopfte zum Zerspringen. Sie entzog sich mit einem Ruck seinem Griff. Sie brauchte einen Moment, um zu registrieren, daß es ihr Handy in der Außentasche ihrer Handtasche war, das klingelte.
»Gehen Sie
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