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Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen

Titel: Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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abprallen wie Hagel am Fenster, wenn er sich auf ein kleines, widerliches Detail konzentrierte.
      »Antworte, Junge!« Wie durch Zauberei tauchte plötzlich das Lineal in Freddies Hand auf.
      Dann ertönten Stimmen im Korridor, und einen Moment später platzten William und Irene herein. Das Lachen erstarb ihnen auf den Lippen, als sie die beiden Gesichter sahen.
      »Sind wir aber eifrig heute morgen«, sagte Freddie in der typisch schleppenden Art. Er hatte sich schnell gefangen, während Lewis wieder auf seinen Stuhl glitt und sich tief über sein Heft beugte.
      Freddie begann mit dem Unterricht, aber die Atmosphäre im Schulzimmer war noch bedrückender als sonst, und Lewis konnte Irene nicht in die Augen sehen.
      Gegen Mittag schwitzten sie in der Hitze, und Freddie hatte begonnen, rastlos auf und ab zu gehen, was Lewis ebenfalls als ein Gefahrenzeichen zu deuten gelernt hatte.
      Nach einer Weile blieb Freddie hinter William stehen und sah ihm über die Schulter, bis William nervös wurde. Dann sagte er im Plauderton: »Hast du heute morgen schon die Zeitungen gelesen, William? Es wird von einem erfolgreichen, nächtlichen Bombenangriff über Deutschland berichtet. Hat ein paar direkte Treffergegeben. Natürlich« - er machte eine Kunstpause - »lagen einige Bombenziele leider in dichtbesiedelten Wohngebieten.«
      William wurde leichenblaß. Er preßte die Lippen aufeinander und weigerte sich, sich reizen zu lassen. Sie alle kannten seine Ansichten über die Bombardierung der Zivilbevölkerung. Es war ein Thema, das Lewis und er nach einigen hitzigen Diskussionen in gegenseitigem Einverständnis mieden.
      William hatte argumentiert, daß es gewissenlos sei, den Tod von Zivilisten in Kauf zu nehmen, welcher Nationalität die Opfer auch angehören mochten, und daß Lewis ebenso empfinden müsse, und zwar schon aufgrund dessen, was mit seinen Eltern geschehen sei... während Lewis genau entgegengesetzter Meinung war und nicht verstehen konnte, wie William den Deutschen diese Rücksichtnahme zubilligen konnte ... nach allem Leid, das sie über London gebracht hatten.
      »Frauen, Kinder ...« Freddie schnalzte mitleidig mit der Zunge, machte auf dem Absatz kehrt und begann weiter auf und ab zu gehen. »Natürlich sind auch Piloten abgeschossen worden, und das ist wirklich eine Schande, findest du nicht?« Er blieb vor seinem Schreibtisch stehen und musterte William prüfend. »Oder vielleicht bist du da anderer Meinung, lieber Will? Vielleicht hast du deine Sympathien anders verteilt?« Damit griff er in seinen Schreibtisch, zog ein mit Bindfaden zusammengehaltenes Bündel heraus und warf es vor sich auf den Tisch. »Ich finde, du könntest die Zeit oben im Speicher sinnvoller verbringen.«
      William streckte die Hand aus, als wollte er sich das Bündel so schnell wie möglich schnappen, doch Freddie schlug ihm mit dem Lineal auf die Fingerknöchel und sagte zynisch: »Ich nehme an, Lewis und Irene würden gern sehen, was du da alles zusammengetragen hast.« Er riß den Bindfaden auf, und Blätter flatterten über die Tischfläche.
      Lewis starrte neugierig darauf. Mit wachsendem Entsetzen erkannte er schließlich, was er vor sich hatte ... pazifistische Traktate, mit einem grob gezeichneten Witz, der einen hämisch grinsenden RAF-Piloten zeigte, der bewußt auf ein fliehendes deutsches Kind zielte.
      »Ich ... sie haben sie mir geschickt ... diese Gruppe in London«, protestierte William. »Ich habe sie an niemanden weitergegeben.« Er streckte erneut die Hand danach aus, doch Freddie kam ihm wieder zuvor und sammelte die Blätter ein.
      »Ich bewahre sie für dich auf«, erklärte Freddie freundlich. »Nur für den Fall, daß sich Edwina oder einer ihrer Freunde vom Kriegsministerium dafür interessieren sollten.«
      Den Blick auf William gerichtet, sagte Lewis: »Was, zum Teufel, hast du dir denn dabei gedacht?« Damit stand er auf. Freddie war ihm mittlerweile egal. »Ich finde das Zeug ... widerlich!«
      »Ich hatte nicht die Absicht...« begann William, aber Lewis stieß seinen Stuhl zurück und lief zur Tür. »Lewis, warte!« schrie William ihm nach.
      Lewis sah sich noch einmal um, dann schlug er die Tür hinter sich zu. Der Ausdruck ihrer Gesichter sollte sich auf ewig in sein Bewußtsein einprägen: Irene, Sorgenfalten auf der Stirn, die stumm mit ihren Lippen seinen Namen formte; William, dessen Augen schwarz vor Schreck geworden waren; und Freddie, der die

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