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Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen

Titel: Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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intakte Hälfte seines Gesichts zu einer zufriedenen Grimasse verzogen hatte.
     
    Er kannte die Gewohnheiten seines Vaters: Lewis verließ sein Büro täglich um die Mittagszeit, um auf den Baustellen nach dem Rechten zu sehen, denn er traute niemandem zu, alles in seinem Sinn richtig zu erledigen. Das war einer der Gründe, die das Arbeiten mit ihm unmöglich machten. Also wartete Gordon neben dem metallicgrauen Mercedes auf dem Heron-Quays-Parkplatz, rauchte und beobachtete, wie sich der Himmel verdunkelte, als schwere Wolkenbänke vom Westen her aufzogen. Die schwüle Luft roch leicht schwefelig.
      Gordon hatte es aufgegeben, sich die Worte, die er sagen wollte, zurechtzulegen. Sein Kopf war leer, die Gedanken kreisten monoton um Annabelle und die ständig wiederkehrende Erinnerung daran, wie sein Vater ihn aus den Wellen gehoben hatte, als er noch ein Kind gewesen war. Als er Lewis um die Gebäudeecke kommen sah, trat er seine Zigarette mit dem Absatz aus und ging auf ihn zu.
      »Dad!«
      Lewis sah auf, die Hand an der Tür des Mercedes. »Gordon! Was machst du denn hier?«
      »Ich muß mit dir reden.«
      »Wir können zurück ins Büro gehen ...«
      »Nein, nicht nötig. Ich will wissen, was an dem Abend passiert ist, bevor Annabelle gestorben ist. Sie ist bei dir gewesen, stimmt’s?«
      »Ich habe erst an diesem Abend erfahren, daß zwischen euch was war. Ich hätte sie nie wiedergesehen, wenn ...«
      »Du hast es nicht ertragen, mir zu überlassen, was du längst als dein Eigentum angesehen hast, was? Du hast immer ...«
      »Nein, so ist es nicht gewesen«, widersprach Lewis resigniert, und Gordon entdeckte Spuren im Gesicht seines Vaters, die neu waren. »Ich wollte dir niemals weh tun ... genausowenig wie Annabelle ...«
      »Warum wolltest du sie dann hintergehen?«
      »Woher weißt du davon?« fragte Lewis leise.
      »Lewis Finch, du bist ein gemeiner Heuchler! Jahrelang hast du mir eingeimpft, wie wichtig persönliche Integrität sei. Und jetzt stellt sich raus, daß du auch nicht besser bist als alle anderen. Annabelle hat mir an jenem Abend gesagt, was du getan hast...«
      »Du begreifst nichts. Es ging nicht um Annabelle. Es ging nicht mal ums Geschäft... es sei denn als Mittel zum Zweck.«
      »Und welcher Zweck sollte das sein?«
      »Ich wollte ihm etwas wegnehmen, etwas, das er genauso liebt wie ich Irene ... und Edwina geliebt habe. Er hat seine Firma und den Namen seiner verdammten Familie immer mehr geliebt als Menschen. Aber das hat nichts mit dir zu tun ...«
      »Redest du von William Hammond? Hast du Annabelle umgebracht, um ihm etwas heimzuzahlen?« Gordon hatte zu brüllen angefangen. Es war ihm gleichgültig, ob sie jemand hörte.
      »Was?« fragte Lewis verdutzt. »Wovon redest du überhaupt?«
      »Als sie zu dir gekommen ist, hat sie dir gesagt, daß euer Geschäft geplatzt ist, stimmt’s? Und sie hat dir gesagt, daß sie mich liebt - sie hat dir gesagt, sie wolle mir beweisen, daß sie mich liebt - und du hast sie umgebracht.«
      »Du glaubst, ich hätte Annabelle umgebracht?« Lewis reihte bedächtig ein Wort ans andere, als versuche er, sich über ihren Sinn klarzuwerden. Und zum ersten Mal kamen Gordon Zweifel. »Aber ich dachte, daß du ... Als sie an jenem Abend gegangen ist, war ich überzeugt, sie wolle zu dir. Ich hatte Angst, daß du ...«
      Gordon starrte seinen Vater an. »Willst du damit sagen, daß du die ganze Zeit geglaubt hast, daß ich es gewesen bin?« Eine Erleichterung, derer er sich nicht ganz sicher war, schnürte ihm die Kehle zu. »Und ich war der Meinung ... Sie haben gesagt, es müsse jemand gewesen sein, der sie geliebt hat ... jemand, der ihre Leiche so liebevoll ins Gras gebettet hat ... Und ich konnte nicht glauben, daß du sie getötet und dann einfach liegen ...«
      »Jemand, der ihre Leiche liebevoll ins Gras gebettet hat?«
      »Sie haben gesagt, sie habe fast heiter ausgesehen ...« Gordon merkte, daß sein Vater ihm schon nicht mehr zuhörte.
      »Ich hätte es von Anfang an wissen müssen«, murmelte Lewis, den Blick in die Ferne gerichtet. Eine Brise ließ Staub und Abfall um ihre Knöchel wirbeln, und im Westen zuckten Blitze von Wolke zu Wolke.
      »Was wissen müssen?«
      Lewis riß die Tür des Mercedes auf. »Diesmal sorge ich dafür, daß er nicht davonkommt.«
      »Wovon redest du? Wer soll nicht davonkommen?« Als Gordon die Hand nach seinem Vater ausstreckte, streifte

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