Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen
für sie passend ist. Sie ist eine ...« Francesca warf ihr einen hilfesuchenden Blick zu.
»Töpferin«, behauptete Gemma spontan und schluckte. Sie hoffte, nicht weiter auf die Probe gestellt zu werden.
»Eine Töpferin«, wiederholte Francesca. »Und sie weiß nicht, ob der Brennofen ausreicht. Sie stellt ihre Sachen in Serie her.«
»Wirklich?« fragte Morgan, setzte sich auf die Sofalehne und legte seiner Frau eine Hand auf die Schulter. Sobald Francesca das Atelier erwähnt hatte, hatte er sich sichtbar entspannt. »Wenn es Sie wirklich interessiert, könnten wir die Stiftung vielleicht überreden, einen neuen Brennofen anzuschaffen.« Als er Gemma anlächelte, entstanden kleine Fältchen um seine Augen herum, die sein wahres Alter verrieten, ihn jedoch nicht weniger attraktiv machten.
Gemma kämpfte mit der Fassung, aber bevor sie etwas Dummes sagen konnte, mißdeutete Morgan ihre Schweigsamkeit: »Hat Fran Ihnen nicht erklärt, wie wir hier arbeiten? Wir haben eine Gruppe von Sponsoren, die es sich zur Aufgabe gesetzt haben, billigen Atelierraum für talentierte Künstler zur Verfügung zu stellen. Wohlgemerkt nur Arbeitsräume, verstehen Sie?« Als Gemma nickte, fuhr er fort: »Wir verkaufen die Arbeiten der Künstler allerdings nicht hier auf dem Hof. Dafür muß jeder selbst sorgen.«
»Sie verkaufen nicht mal Ihre eigenen Sachen?« fragte Gemma, deren Neugier bewirkte, daß sie endlich einen vernünftigen Satz herausbrachte.
»Oh, Morgan und ich benutzen die Atelierräume gar nicht«, erklärte Francesca. »Wir fungieren sozusagen nur als Hausmeister für die Stiftung. Wir haben unsere Ateliers hier im Haus. Morgans Fotostudio und Dunkelkammer sind im ersten Stock. Und ich arbeite am liebsten hier am Kamin«, fügte sie lächelnd hinzu. »Möchten Sie sich das in Frage kommende Atelier noch mal ansehen?«
»Nein, lieber nicht«, fing Gemma ihr Stichwort auf. Sie warf einen Blick auf die Uhr. »Ich habe noch eine Verabredung und bin schon spät dran.« Sie stellte ihren Kaffeebecher auf den Tisch und stand auf. »Sie waren sehr freundlich, mir so viel Zeit zu widmen. Darf ich Sie anrufen, sobald ich mich entschieden habe?«
»Selbstverständlich.«
Francesca drückte die Hand ihres Mannes und stand auf.
»Lassen Sie sich nicht zu lange Zeit«, bemerkte Morgan und begleitete sie zur Tür. Gemma fiel jetzt erst auf, daß er mit leicht walisischem Akzent sprach. »Eine Gelegenheit wie diese kommt so schnell nicht wieder.«
Ehemann und Ehefrau standen Schulter an Schulter auf der Türstufe, ein Bild der Harmonie. Aber als Gemma sich abwandte, warf die launische Nachmittagssonne einen Schatten zwischen die beiden, und sie fragte sich, ob Francesca Ashby wirklich darauf vorbereitet war, ohne das Gespenst Lydias zu leben.
Kincaid lenkte den Midget auf einen der Parkplätze gegenüber der Englischen Fakultät und zog die Handbremse an. Ihm war gar nicht klar gewesen, wie sehr ihn sein inoffizieller Status bei seinen Ermittlungen behindern würde. Er kochte noch vor Wut, wenn er an die Abfuhr dachte, die er sich gerade bei Morgan Ashby eingehandelt hatte. Der Mann hatte ihn mit einem Schrotgewehr bedroht. Falls Vic eine ähnliche Erfahrung gemacht hatte, wunderte es ihn nicht, daß sie auf jeden weiteren Kontakt mit Lydia Brookes Ex-Mann verzichtet hatte.
Kincaid hatte vor, Alec Byrne diesen Verrückten wärmstens zu empfehlen - für einen Besuch in Begleitung einer bewaffneten Polizeistaffel -, aber vorerst hoffte er aufgeschlossenere Informationsquellen in der Universität zu finden, wo sein inoffizieller Status eher ein Vorteil als ein Nachteil zu werden versprach.
Nach einem Blick auf die Wolkenbänke, die am nördlichen Horizont aufzogen, klappte er das Dach des Midget zu, befestigte es und überquerte die Straße zu dem Gebäude, in dem Vic, wie er annahm, ihren letzten Tag verbracht hatte.
Laura Miller, die Fakultätssekretärin, saß an ihrem Schreibtisch im Empfangsraum, hielt mit einer Hand den Telefonhörer ans Ohr gepreßt und schrieb mit der anderen etwas auf einen Block. Beim Geräusch der Tür sah sie auf, und als sie ihn erkannte, öffnete sich ihr Mund zu einer stummen Beileidsbekundung.
»Oh, Entschuldigung«, sagte sie, als sie sich wieder auf das Gespräch konzentrierte. »Könnte ich Sie zurückrufen? Danke.«
Sie legte den Hörer auf und starrte weiter Kincaid an, der beklommen beobachtete, wie sich ihre Augen
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